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Aus huforthopädischer Sicht: Pro und Contra orthopädische Beschläge (Dr. Konstanze Rasch)

Einleitung

Hat der Mensch ein orthopädisches Problem, so wird neben weiteren Therapiemaßnahmen nicht selten auch ein orthopädisches Schuhwerk verordnet. Beim Pferd geschieht dies in gleicher Weise und mit noch größerer Häufigkeit. Hinter diesen Verordnungen steckt der Gedanke, Statik und Bewegungsablauf positiv beeinflussen zu wollen. Ob letzteres gelingt, hängt bekanntlich von verschiedenen Faktoren ab. Einer der wichtigsten dieser Faktoren beim Pferd ist der Zustand des Hornschuhs selbst. Dieser kann aufgrund seiner plastischen Verformbarkeit die Bemühungen des orthopädischen Beschlags gänzlich konterkarieren. Das ist ein Schlechterstellungsmerkmal (A) des orthopädischen Beschlages gegenüber der orthopädischen Schuhtechnik beim Menschen. Andererseits, und das ist eindeutig und gerechterweise ein Besserstellungsmerkmal, bietet der nachwachsende Hornschuh des Pferdes selbst (anders als der menschliche Fuß) ein Potential für orthopädische Hilfestellung, welches sehr gut genutzt werden kann (B).

A) Unbedachte Wirkungen des orthopädischen Beschlages

Werden orthopädische Beschläge eingesetzt, so möchte man deren positive Effekte für den Huf und die Gliedmaße nutzen. Erkrankte Strukturen sollen entlastet, gefährdete Bereiche geschützt und unterstützt, Lahmheiten therapiert werden. Studien und Erfahrungswerte belegen die Wirksamkeit des Einsatzes der verschiedenen Beschlagmodifikationen. Fallbeispiele für letzteres finden sich auch in dieser Tagungsmappe. Hufbeschlaglehrmeister Ralf Kinkartz berichtet über seine Erfahrungen mit orthopädischem Beschlag und dokumentiert anhand zahlreicher Praxisfälle dessen erfolgreiche Anwendung. Es handelt sich mit Sicherheit in jedem einzelnen Fall um eine hervorragende und gewissenhaft ausgeführte orthopädische Schmiedearbeit. Und dennoch zeigen die Hornkapseln genau die Phänomene, auf die ich Sie unter der Überschrift „Unbedachte Wirkungen“ gern aufmerksam machen möchte. Die auf den Fotos abgebildeten Hornschuhe selbst weisen ungünstige Verformungen auf. Es kann sein, dass diese Verformungen auch schon vorab, also vor Anwendung der jeweiligen Beschlagmodifikation bestanden haben. In dem Fall stellt sich allerdings die Frage, ob sie unter dem gezeigten Beschlag zum Verschwinden gebracht werden können. Ich bezweifle, dass dies möglich ist. Der Grund für meine Zweifel liegt vor allem in folgendem Umstand:

Unter dem orthopädischen Beschlag werden die Hufwandabschnitte zu lang

Das hat der orthopädische Beschlag mit dem Standardbeschlag wie auch mit jedem anderen dauerhaft angebrachten Hufschutz gemeinsam. Wenn Wandabschnitte am Hornschuh zu lang werden, weil sie sich nicht abreiben können, so verändert sich ihre Ausrichtung zum Boden. Im Endeffekt heißt das, die ursprüngliche Richtung, die ein Wandbereich zum Boden besitzt, wird verstärkt. Das verdankt sich dem Umstand, dass mit der Zunahme der Länge der Hornwand auch die Krafteinwirkung auf den betreffenden Wandabschnitt zunimmt. Das gilt für abrieblose Barhufe natürlich gleichermaßen.

Eine Hilfe bei der Entscheidung bieten, so hoffe ich, auch die folgenden Ausführungen.

Ungenutztes Potential des Barhufes

Die sicherste und m.E. einzige Möglichkeit, die o.g. negativen Entwicklungen des Hornschuhs unter dem Beschlag zu begrenzen, ist ein kurzes Beschlagintervall, so dass der ausbleibende Abrieb möglichst zeitnah durch das manuelle Verkürzen der Hornwände nachgeholt wird. Bei einem normalen Hornwachstum von durchschnittlichen 10 mm im Monat (im Sommer) schlägt bereits ein sechswöchiges Intervall mit 1,5cm Hornstrecke (= Hebellänge) zu Buche. Je nach individueller Stellung der Hufwände kann dies verheerende oder auch nur mäßige Folge haben. Die Schwierigkeit beim Abrieb-Nachholen durch manuelles Verkürzen mit Raspel, Hauklinge, Nipper oder Klauenschere ist jedoch, dass die Schrägerstellung der Wände vorab bereits stattgefunden hat. D.h. es gelingt in dem Fall zwar im nachhinein die Hebelstrecke wieder zu verkürzen, nicht aber die meist schon eingetretene Wandverbiegung wieder aufzuheben.

Was beim Umbeschlagen notwendig (und dabei aber gar nicht immer hinreichend) ist, um die Situation zu bereinigen, wird beim Barhuf leider sehr oft ganz gleich gehandhabt. Das bedeutet, das eigentliche Potential des Barhufs bleibt häufig ungenutzt. Der Vorteil des unbeschlagenen gegenüber dem beschlagenen Huf liegt an dieser Stelle ja gerade im Abrieb. Letzterer kann vom Hufbearbeiter mit recht einfachen Maßnahmen gesteuert werden. Das Nachholen des Abriebs durch händisches Verkürzen ist dagegen eine Notmaßnahme und i.e. nur erforderlich, wenn Hufe durch zu lange Bearbeitungsintervalle vernachlässigt wurden oder wenn Pferde völlig abrieblos gehalten werden. In allen anderen Fällen hat die Hufbearbeitung beim unbeschlagenen Huf die Möglichkeit, von vornherein steuernd in den Abrieb des Hufes einzugreifen. Natürlich ist es einem Hufbearbeiter nicht möglich, die durch Gang und Stellung verursachten Abriebmuster wirklich aufzuheben. Ein Pferd welches sich bspw. die laterale Seitenwand durch ein drehendes Fußen stärker abreibt, wird dies in der Regel auch weiterhin tun. Aber der Hufbearbeiter kann mit seiner Arbeit dafür sorgen, dass die mediale Wand in den nächsten Wochen einen durch ihn forcierten Abrieb erfährt, so dass der Huf während des Bearbeitungsintervalls nicht schiefer, im besten Fall sogar gerader wird.

Bei sehr vielen Erkrankungen der Hufe und Gliedmaßen spielt das Missverhältnis zwischen Zehe und Trachte eine Rolle. Therapeutisch möchte man deshalb häufig hin zu einer kürzeren Zehe und zu einem tragfähigen Trachtenbereich. In diesen Fällen ist der Barhuf theoretisch das orthopädische Mittel der Wahl. Mit etwas Sachverstand ist es in den allermeisten Fällen ohne großen Aufwand möglich, die Zehe kürzer und gerader und die Trachten stabiler nachwachsen zu lassen. In der Praxis sieht das jedoch sehr oft anders aus. Selbst bislang barhuf gehende Pferde werden im Falle von Erkrankungen auf Anraten des behandelnden Tierarztes beschlagen, um mit Hilfe von Keilen eine verbesserte Zehenachse zu erhalten und/oder um mit entsprechenden Beschlagmodifikationen den Abrollpunkt zurück zu setzen. Anders als beschlagene Pferde können sich Barhufgänger jedoch ihre Zehenwände abreiben. Und der Hufbearbeiter kann dies, wenn es nötig ist, ganz einfach unterstützen. Bedingt durch den Abfußvorgang, bei dem die Zehenwand über den Boden abrollt, wird je nach Nutzung, Haltung und Gangbesonderheiten des Pferdes in diesem Bereich mehr oder weniger Horn abgerieben. Gut genutzte oder auf abrasiven Böden gehaltene oder auch durch Probleme des Bewegungsapparates gehandicapte Pferde weisen oft recht viel Zehenabrieb auf; andere Pferde dagegen profitieren davon, wenn sie der Hufbearbeiter beim Abreiben der Zehenwand unterstützt. Nicht indem er die Zehenwand nach 5-8 Wochen händisch verkürzt (weil sie bereits wieder zu lang geworden ist), sondern indem er mit seiner Bearbeitung dafür sorgt, dass sie gar nicht

 

Dieser Artikel ist Bestandteil der Tagungsmappe der 10. Huftagung der DHG e.V. Die Tagungsmappe (61 Seiten & 120 Abbildungen) kann zum Preis von 15 Euro bei uns bestellt werden. Das Thema dieser Huftagung lautet "Orthopädische Beschläge – Pro und Contra".

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