13. Huftagung der DHG e.V. 2019
Am 15. Juni 2019 fand die 13. Huftagung für Tierärzte und Hufbearbeiter der DHG e.V. an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig statt.
An einem schwülwarmen Sommertag trugen zehn Referierende einem straffen Zeitplan folgend ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zum Thema „steile Hufe“ vor. Knapp 150 Interessierte hatten den Weg in den Hörsaal im Herbert-Gürtler-Haus gefunden und folgten aufmerksam den Vorträgen. Nach jedem Vortrag blieb ein kleines Zeitfenster für kritische Fragen und kurze Diskussionen aus und mit der Zuhörerschaft.
Die Präsidentin der DHG e.V. und Huforthopädin Dr. Konstanze Rasch leitete die Tagung mit einem Problemaufriss ein, in welchem sie das - häufig wie selbstverständlich praktizierte - Korrigieren steiler Hufe in Frage stellte. Vor allem erwachsene Pferde mit chronischen Bockhufen oder unterschiedlich steilen Vorderhufen leiden unter den mitunter jahrelangen Korrekturbemühungen. Aber auch im Fohlenalter wird das Ende der orthopädischen Korrekturmöglichkeit im individuellen Fall mitunter nicht erkannt. Die Referentin wünscht sich diesbezüglich mehr Reflektion: Der Hornschuh zeigt das Ende der Korrekturfähigkeit durch Zehenwandverbiegung an. Leider wird dieser Umstand zumeist ignoriert bzw. mit der Raspel fürs Auge geschönt. Auch wird die Trachtenhöhe stets aufs Neue korrigiert, obwohl sich die für das Pferd nötige Höhe der Trachten doch beständig wieder einstellt. Die Referentin verweist darauf, dass höhere Trachten niemals grundlos entstehen und akzeptiert werden müssen, wenn die oft außerhalb der Hufe liegende Ursache nicht abgestellt werden kann.
Auch Hufbeschlaglehrmeister Axel Berndt, der auf umfangreiche Erfahrungen in der Behandlung von Fohlenstelzfüßen und -bockhufen zurückblickt und verschiedene Möglichkeiten der orthopädischen Korrektur vorstellt, verweist auf die individuell unterschiedliche Reaktion und mahnt an: Stellt sich nach zweimaligem Bearbeiten eines Jungtieres keine Besserung ein, werden medikamentöse oder chirurgische Maßnahmen durch den Tierarzt nötig, da die orthopädische Korrektur allein erfolglos bleiben wird! Auch beim erwachsenen Pferd hängt die Korrekturfähigkeit sehr von der Reaktion des individuellen Beugeapparates bzw. Beharrungsvermögen der gesamten Gliedmaßenstrukturen ab. Vor allem bei Fohlen rät der Referent dazu, vor der tatsächlichen Korrektur durch ein Untertapen von unterschiedlich hohen Zehenkeilen, gefolgt von einem Vorführen im Schritt, die Verträglichkeit der geplanten Korrekturmaßnahme zu testen.
Die Tierärztin Dr. Jennifer Maria Kothes stellte Erkenntnisse aus ihrer Doktorarbeit zum Thema Stelzfuß- und Bockhufbehandlung mit Oxytetracyclin beim Fohlen vor. Die Dissertation verfolgte das Ziel, die Wirksamkeit des intravenösen Einsatzes hoher Dosen dieses Antibiotikums zu untersuchen und diese Therapie mit den bereits zur Verfügung stehenden konservativen Behandlungsmethoden zu vergleichen. Aus der Literatur bekannte Nebenwirkungen des Antibiotikums waren im Rahmen der Studie nicht zu beobachten. Aus Sicht der Referentin bedarf es hier dringend weiterer Untersuchungen. Bis dahin kann die hohe systemische Oxytetracyclingabe von 3g trotz der positiven Ergebnisse nicht uneingeschränkt empfohlen werden.
Tierarzt Dr. Kai Kreling, Leiter der Tierklinik Binger Wald, referierte über Möglichkeiten und Limitationen bei der Behandlung (zu) steiler Hufe. Beim erwachsenen Pferd muss eine eingehende medizinische Diagnostik vorgeben, in welchem Maße der steile Huf therapeutischen Maßnahmen unterworfen werden kann. Hufbearbeiter und Tierarzt müssen Hand in Hand fungieren. Schmerz ist immer kontraindiziert und führt durch die ihm immanenten Muskelreaktionen zum Gegenteil der gewünschten Effekte.
Die Fachtierärztin und Chiropraktikerin Winnie Dreschel erläuterte anhand anschaulicher Beispiele den Kreislauf zwischen Auslösern für Kompensationshaltungen des Pferdes und daraus resultierenden unterschiedlich gewinkelten Hufen, welche wiederum als Auslöser für Kompensationshaltungen und nicht zuletzt funktionelle und strukturelle Veränderungen angesehen werden können. Die Referentin sieht 60% der Pferde mit unterschiedlich steilen Vorderhufen ausgestattet und stellt in Frage, ob Asymmetrie somit nicht eher die Norm, denn die Abweichung ist. Wichtig ist es, die Auslöser der Asymmetrien zu finden und wenn möglich abzustellen. Ohne dieses ist die „Heilung“ von unterschiedlichen Winkelungen nicht möglich. Dass alle am Pferd tätigen Fachrichtungen hier in engem Austausch zusammen arbeiten, ist ein sehr wünschenswertes Ziel.
Der Hufbeschlaglehrschmied Jan Gerd Rhenius stellte in seinem Vortrag heraus, dass sich die Ansätze der Lehrschmieden zum Thema Behandlung steiler Hufe beim erwachsenen Pferd in Deutschland nach einem flächendeckenden Generationswechsel und dank regelmäßigem fachlichen Austausch mittlerweile stark angenähert haben. Die zeitgemäße Herangehensweise, so betont der Referent, betrachtet jedes Pferd und jede Hufsituation individuell. Ein stumpfer Huf, welcher zu seiner steilen Fesselachse passt und keine Auffälligkeiten zeigt, ist nicht korrekturbedürftig. Anlass zur Korrektur sieht man allerdings bei Lahmheit, Röntgenbefund, Fehl-/Überlastungsanzeichen der Hornkapsel, Bockhuf oder deutlicher Differenz der Vorderhufe. Sichtbare Negativreaktionen auf die Korrekturbemühungen, wie schwebende Trachten und Zehenwandverbiegungen, Lahmen, Gangverschlechterung, sind als körperliche Limitierungen wahr- und ernst zu nehmen.
Der in F-Balance Equine Podiatry zertifizierte Schweizer Hufschmied Andi Weishaupt betonte, dass ihm die Unterscheidung zwischen stabilisierenden und korrigierenden Maßnahmen am (zu) steilen Huf sehr wichtig ist und er diese Unterscheidung generell vernachlässigt sieht. Die individuellen Korrekturgrenzen eines jeden Pferdes müssen, so betont er, respektiert werden. Die F-Balance sieht diese Grenzen in „Stresspunkten“ an den Trachten umgesetzt, welche aus ihrer Sicht die natürliche Länge der Trachten anzeigen. Mithilfe eines Messzirkels wird diese an einer Tracht gefundene Länge an allen vier Trachten der Vorderhufe markiert und die Trachten auf dieses Maß gekürzt.
Hufpflegerin Sonja Appelt trug ihre Beobachtungen von Wildpferden in den USA und Afrika vor. Herden, die weitgehend abgeschottet von menschlichen Einflüssen leben, zeigen nach ihrer Aussage niemals steile Hufe. Die Referentin erklärte dies mit der vielen und abwechslungsreichen Bewegung auf abriebintensiven Böden. Menschlicher Einfluss, wie Füttern und Einsperren, befördert problematische Hufsituationen. Die erste „Korrektur“ steiler Hufe sieht die Referentin demzufolge in den Haltungsbedingungen. Daneben werden steile Hufe von ihr allerdings prinzipiell als problematisch angesehen und deshalb stets in den Trachten gekürzt. Die Referentin nutzt hierfür ebenfalls die sogenannten „Stresspunkte“.
Die Hufpflegerin und Inhaberin des Privatinstituts für ganzheitliche Hufbearbeitung (BPHC) Annelie Michels bezog eine ähnliche Stellung wie ihre beiden Vorredner. Sie verwies auf schmerzhafte Ursachen wie Strahlfäule oder Strahlkrebs, die unter nicht optimalen Haltungsbedingungen auftreten und beseitigt werden müssen. Darüber hinaus werden hohe Trachten von ihr per se als problematisch angesehen und stets korrigiert. Das Kürzen der Trachten erfolgt auch hier wieder anhand der o.g. F-Balance-Marker. Die Referentin betonte, dass jede Bearbeitung fotografisch festgehalten wird, um Veränderungen korrekt zu interpretieren und die Korrekturen entsprechend anzupassen. Allerdings wird hierbei stets nur der bereits wieder neu bearbeitete Hufzustand festgehalten, was in der nachfolgenden Diskussion als fragwürdige Praxis kritisiert wurde: Es macht einfach einen sehr großen Unterschied, ob man tatsächlich die Reaktion der Hornkapsel im Foto festhält oder lediglich deren neu bearbeiteten und damit bereits schon wieder „reparierten“ sprich geschönten Zustand dokumentiert.
Huforthopädin und Ausbildungsleiterin der LfH der DHG e.V. in Bayern, Astrid Arnold, trug Erkenntnisse aus der Präparierwerkstatt bezogen auf die Korrekturmöglichkeiten bei steilen Hufen vor: Neben dem im Vergleich zur Hinterhand sehr kräftigen und straffen Unterstützungsband der tiefen Beugesehne an der Vordergliedmaßen, limitiert auch der nur wenig elastische Bereich der Hufrolle jedwede Korrekturmöglichkeiten von chronisch steilen Hufen an der Vorderhand. Präparate zeigen: Bei Bockhufen besitzt der Hufrollenkomplex eine andere anatomische Ausführung als bei Hufen mit gerader Zehenachse oder Hyperextension. Trachtenkürzungen führen zu kleinen bis großen Schädigungen nicht nur in diesen Bereichen, sondern reichen sich durch die neuromuskuläre Reaktion häufig nach oben durch. Nicht nur Lahmheiten, auch Ganganomalien, Unrittigkeit oder Rückenprobleme sind eine häufige Folge fehlerhafter und unausgesetzter Korrekturversuche von für „zu hoch“ befundenen Trachten. Äußerlich sichtbare Anzeichen am Huf, wie eine verbreiterte Blättchenschicht oder eine verbogene Zehenwand, werden häufig übersehen bzw. fehlinterpretiert. Es kommt in der Folge nicht nur zu Schädigungen an der Wandlederhaut (Gefahr der Hufrehe!), auch die Sohlenlederhaut und selbst die Kronlederhaut wird in Mitleidenschaft gezogen. Das Hufbein selbst erleidet ebenfalls Schaden. Die Referentin rät dringend dazu, trachtenkorrigierende Maßnahmen radiologisch und sonografisch vorab auf ihre Machbarkeit und Erfolgsaussichten zu prüfen. Die aktuell zunehmend immer häufiger angewendeten Extensionsproben liefern hierfür keine zuverlässige Aussage.