Zum Hauptinhalt springen

Hufklima und Hufgesundheit

Klaus Köhler

Warum Hufklima?

Zunächst ist zu fragen, ob überhaupt von einem Hufklima gesprochen werden kann, und was gegebenenfalls unter diesem Begriff zu verstehen ist. Betrachten wir den Huf als komplexes Gebilde mit unterschiedlichen Bestandteilen wie beispielsweise Hufwand und -sohle, Krone, Ballen, Strahl sowie deren unterschiedliche Eigenschaften, Feuchtigkeits- und Härtegrade, so werden durchaus Parallelen etwa zu Wohnräumen und Häusern sichtbar, bei denen ja ohne weiteres von Wohn- und Raumklima gesprochen wird. Als wichtige Begriffbestimmung sei an dieser Stelle gleich erwähnt, dass hier, am Huf, – im Gegensatz zu Wohnräumen – das äußere Klima gemeint ist, also die Bedingungen und Faktoren, die von außen her auf den Huf und seine Hornkapsel einwirken. Gewiss wäre es auch sehr lohnend, Betrachtungen über das Klima im Inneren des Hufes anzustellen, wo ganz andere Faktoren wirksam sind und die ver-schiedenen klimatischen Zustände sich vielleicht weniger stark voneinander unterscheiden; Gegenstand der vorliegenden Betrachtungen soll jedoch das rauhe, wechselvolle, äußere Hufklima mit seiner komplexen Dynamik und seinen vielfältigen Einflussfaktoren sein.

Hornarten und -eigenschaften, Zustände des Hufhorns

An Hornarten unterscheiden wir, lose nach entsprechender Lederhaut bzw. von proximal nach distal geordnet,

–Saum-, Ballen- und Strahlhorn,

–Wandhorn und Blättchenhorn des Hufbeinträgers, sowie

–Sohlenrandhorn und Sohlenhorn (natürlich lassen sich die verschiedenen Horne des Pferdehufs auch anders gruppieren, es gibt hierzu reichlich Fachliteratur; sehr genau und anschaulich s.[1], S. 126 f.).

Schon aus dieser Aufzählung wird ersichtlich, dass wir es mit vielen unterschiedlichen Baumaterialien zu tun haben, deren Zusammenspiel gemäß den jeweiligen Eigenschaften sehr verschieden ausfallen kann. Eine statisch-physikalisch sehr interessante Kennzahl ist hier die Reißlänge, mit der die Reißfestigkeit eines Materials im Verhältnis zum Eigengewicht angegeben wird. So weist etwa Baustahl eine Reißlänge von sechs Kilometern auf, Federstahl reißt infolge seines eigenen Gewichts erst bei einer Länge von achtzehn Kilometern, das Wandhorn des Pferdehufs bringt es dagegen auf die stattliche Reißlänge von einunddreißig Kilometern. Hieran wird ersichtlich, wie sehr die Natur das Hufhorn auf äußerste Zähigkeit und Reißfestigkeit bei gleichzeitig größtmöglicher Leichtigkeit hin konzipiert hat (wieviel klüger ist da doch der Mensch, der obendrein noch ein halbes bis ein ganzes Pfund Eisen pro Huf aufna-gelt!). Die verschiedenen Horne des Pferdehufs unterscheiden sich beträchtlich in bezug auf ihre Mikrostruktur, Reiß- und Abriebfestigkeit, Biegsamkeit und Nachgiebigkeit, was sich auch in den unterschiedlichen Feuchtigkeitsgehalten wiederspiegelt; so weist etwa die Au-ßenwand 15 bis 20%, die Innenwand 45%, die Sohle 30%, und der Strahl bis zu 50% Wasser-anteil auf. Für die Konsistenz des Strahlhorns sind Anzahl und Größe der Strahlmilchtaschen (s. Einschub: merokrine Sekretion) bedeutsam, die Eigenschaften des Sohlen- und Wandhorns sind stark von der Menge und Qualität des Zwischenröhrchenhorns abhängig. Mit Blick auf den Feuchtigkeitsgehalt ist auch ausschlaggebend, ob das Horn frisch gebildet bzw. auch frisch beschnitten ist oder nicht.

Einschub: Merokrine Sekretion

Im Strahlhorn der Pferde finden sich, oft mikroskopisch klein, zuweilen leicht mit bloßem Auge erkennbar, sogenannte Strahlmilchtaschen: an ihren Innenflächen rauhe Bläschen, die mit einer milchig-weißlichen Flüssigkeit gefüllt sind. Ihre Funktion ist nicht geklärt, es gibt dazu zwei Vermutungen: Einmal fungieren sie angeblich als Säureregulatoren des Strahls – dagegen spricht jedoch die Erfahrungstatsache, dass viele und große Strahlmilchtaschen ein erhöhtes Strahlfäulerisiko darstellen; nach anderer Auffassung dienen sie lediglich dazu, den Strahl feucht und geschmeidig zu halten – viele und große Strahlmilchtaschen entsprächen dann schlicht einer Überaktivität der zugehörigen merokrinen Drüsen (die Bezeichnung „merokrin“ ist lediglich ein technischer Fachbegriff, der sich auf die Art der Sekretfreisetzung bezieht[2]. An anderer Stelle[3] ist in diesem Zusammenhang auch von apokriner Sekretion die Rede – die Fachwelt ist sich also über die Art der Sekretabsonderung noch nicht einig). Aus der huforthpädischen Praxis gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen verstärktem Auftreten von Strahlmilchtaschen mit einem Mangel an Zink im Blutbild des betreffenden Pferdes; dazu passt die Beobachtung, dass die Strahlmilchtaschen sowohl dauerhaft als auch nur periodisch auftreten.

Physikalische, chemische und organische Einflüsse

Nach der Betrachtung der Eigenschaften und Zustände des Hufhorns folgen einige Ausführungen zu den verschiedenen Einflüssen, denen die Hornkapsel mit jeweils einigen oder allen ihren Teilen ausgesetzt ist. Die physikalisch wirksamen Einflüsse sind rasch benannt: aus dem individuellen Gliedmaßengebrauch und der Hufform einerseits sowie aus dem Bodengegendruck und der Beschaffenheit der benutzten Untergründe andererseits ergeben sich entsprechende Dehnungs- und Stauchungskräfte sowie Scher- und Verwindungskräfte, denen die Hornkapsel ausgesetzt ist; im Bereich von Tragrand, Sohle und Strahl erfolgen dem entsprechend Abrieb, Ausbruch und Absplitterung. Im Bereich der chemischen Einflüsse ist die Liste etwas länger: Säuren, Basen und andere chemisch wirksame Komponenten wie z. B. Streusalz oder Düngemittel in Erde, Wasser, Gras, Stein und Einstreu wirken auf das Hufhorn ein und greifen es durch Zersetzung oder Aufweichung mehr oder weniger stark an.

Einschub: Untersuchungen zum pH-Wert der Hornkapsel

In diesem Zusammenhang wurde eine kleine eigene Untersuchung an bislang 28 Pferden durchgeführt, um den pH-Wert des Hufklimas zu messen; die Messungen wurden sowohl an Hufen mit Fäulnisbefall des Strahls, der Strahlfurchen und der weißen Linie als auch an Hufen ohne jeglichen Fäulnisbefall vorgenommen. Anfangs wurde sowohl an Vorder- als auch an Hintergliedmaßen gemessen; nachdem sich hierfür stets gleiche Meßwerte ergaben, wurde bei jedem Pferd nur noch an einem – besonders stark fäulnisbefallenen oder besonders gesunden – Huf gemessen. Der Huf wurde in einen Badeschuh gestellt und 15 Minuten lang in 500 ml Wasser eingeweicht, anschließend wurde der pH-Wert des Wassers gemessen. Es ergaben sich im Rahmen der Meßgenauigkeit (+/- 0,5) ausnahmslos – und bei fäulnisbefallenen Hufen ohne Rücksicht auf das Ausmaß der Fäulnis – die gleichen Werte: pH 6,5 für gesunde Hufe, also ein leicht saurer Wert; pH 7,5 für fäulnisbefallene Hufe, also ein leicht basischer Wert. Wer Fäulnisbefall am Huf vorbeugen oder bekämpfen möchte, kann sich diese Ergebnisse zunutze machen und beispielsweise durch Zugabe von Torf oder Rindenmulch auf leicht saure Einstreu achten – es versteht sich allerdings von selbst, dass dies als Gegenmaßnahme bei bereits vorliegendem Fäulnisbefall absolut unzureichend ist.Schließlich ist noch eine Reihe organischer Faktoren zu nennen, die auf das Horn einwirken, so etwa Ausscheidungen, die vom Pferd selbst stammen, wie Harn, Kot, Rosse, Schweiß und Strahlmilch; daneben gibt es noch die Ausscheidungsprodukte anderer Tiere wie z. B. Vogel-und Mäusekot, die sich regelmäßig in der Einstreu finden, sowie die Ausscheidungs- und Zersetzungsprodukte diverser Pilze und Bakterien, auf die im folgenden noch näher eingegangen wird.

Neben den bisher genannten spezifischen Einflüssen gibt es auch Faktoren, die sich nur gesamthaft benennen lassen, bei denen also das Pferd bzw. seine Lebensumstände als Ganzes betrachtet werden müssen. Hier lassen sich einerseits endogene Faktoren benennen, die vom Pferd selbst ausgehen, also etwa Größe und Gewicht, ggf. Trächtigkeit, Futterumsatz, Ausgeglichenheit oder Nervosität, Sensibilität, Bewegungsfreude; zum anderen spielen auch exogene Faktoren eine Rolle, also solche, die gesamthaft von außen auf das Pferd einwirken, wie z. B. Haltungsweise, Futter, Einstreu, Tag- oder Nacht-Weide im Sommer, Nutzungsweise, ggf. Medikation, Umgebung, meteorologisches Klima, und nicht zuletzt die Art der Hufbearbeitung. Alle diese gesamthaften Faktoren wirken sich unter anderem auch auf das Hufklima aus und beeinflussen es nachhaltig.

Ursachen und Folgen gestörten Hufklimas, klimabezogene Erkrankungen und Defekte

Aus den obigen Überlegungen geht hervor, dass ein gesundes Hufklima in aller Regel gleichbedeutend ist mit einer gesunden Hufform und gesunden Haltungsbedingungen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so finden wir Hufe vor, die frei von Fäulnis sind und einen pH-Wert von etwa 6,5 aufweisen; der Feuchtigkeitsgehalt ist den Umständen angepasst, der Abrieb wird durch entsprechendes Hornwachstum ausgeglichen. Ist das Hufklima gestört, so ist dies in aller Regel auf unphysiologische Hufformen zurückzuführen, die Fäulnisbefall, übermäßigen Abrieb, Absplitterungen, Risse und andere Defekte überhaupt erst ermöglichen. Ursachen unphysiologischer Hufformen sind mangelnde oder falsche Hufbearbeitung, unangemessene Haltungsbedingungen, mangelnde Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Pferdes und – in den weitaus selteneren Fällen – degenerative Erkrankungen und damit einhergehende Störungen der Bewegungsabläufe, in deren Folge auch die Hufe in Mitleidenschaft gezogen werden. Leider ist es selbst in diesen Fällen (Arthrose, Podotrochlitis, Sehnenschäden, Knochenzubildungen u. ä.) häufig so, dass sie nicht Ursache, sondern Folge unphysiologischer Hufzustände sind.

Aus diesem komplizierten Kausalnexus schwer voneinander zu trennender Ursachen und Wirkungen lassen sich jedoch einige Krankheitsbilder bzw. Horndefekte herauslösen, die, obschon nicht unbedingt Folge gestörten Hufklimas, doch auf jeden Fall einen Bezug dazu haben bzw. häufig damit einhergehen. Dazu gehören:

– Strahlfäule

– Hufbeinträgerfäule

– white line disease

– hohle Wand, lose Wand, sowie

– Hufabszesse und -geschwüre.

Für diese Erkrankungen wurden bisher keine spezifischen Erreger festgestellt, in der Literatur werden folgende Bakterien und Pilze als Verursacher genannt: Staphylokokken, Pseudomonaden, Clostridien – Bakterien; Geotrichum, Pseudoallescharia, Scopulariopsis – Pilze[4]. Ob und wie weit dies zutrifft, muss genauen mikrobiologischen Untersuchungen vorbehalten bleiben; in allen Fällen der o.g. Erkrankungen ist jedoch das fusobacterium necrophorum anzutreffen, ein natürlicher Darmbewohner des Pferdes, der in der Fachwelt als opportunistisch pathogener Anaerobier bezeichnet wird. Das bedeutet, dieses Bakterium ist zwar im Stall und auf der Weide allgegenwärtig, doch es ist auf bestimmte Voraussetzungen angewiesen, um seine krankmachende Wirkung entfalten zu können, nämlich Wärme, Feuchtigkeit, rissige Oberflächen und, besonders wichtig, Sauerstoffabschluss. Darüber hinaus wissen wir aus den oben dargestellten eigenen Untersuchungen, dass auch ein ins Basische verschobener pH-Wert den Fusobakterien Vorschub leistet. Ob lediglich als Begleitumstand, ob als begünstigender Faktor oder gar als Ursache – bei allen diesen Erkrankungen finden wir stets auch ein gestörtes Hufklima vor.

Einschub: Strahlfäule

Als Beispiel sei die sehr häufig auftretende Strahlfäule angeführt, bei der das weiche Strahl-horn von den Fusobakterien angegriffen und zu einer unangenehm riechenden, schwarzen, schmierigen Masse zersetzt wird. Im fortgeschrittenen Stadium, wenn der Fäulnisbereich die Strahl- oder Sohlenlederhaut erreicht, kann es von Lahmheiten über eitrige Entzündungen der betroffenen Lederhäute bis zum gefürchteten, weil nur schwer heilbaren Hufkrebs kommen. In den meisten Fällen liegt die Ursache für den Fäulnisbefall des Strahls in zu engen Strahlfurchen, wie sie praktisch immer beim Trachtenzwanghuf angetroffen werden. Die Enge der Strahlfurchen schafft eine grundlegende Existenzvoraussetzung für die Fusobakterien, den Sauerstoffabschluss. Kommen noch weitere, die Fäulnis begünstigende Faktoren hinzu, so wird es immer schwieriger, die Fäulnis zu bekämpfen oder auch nur zu vermindern. Diese Faktoren sind: hoher Besiedelungsdruck durch die Bakterien, wenn schlecht gemistet wird oder das Pferd immer an der gleichen Stelle steht; Feuchtigkeit; Wärme; basischer pH-Wert; starke Strahlmilchsekretion; Quetschungen und Zerrungen des Strahlhorns, die häufig bei Übergewicht des Pferdes, aber auch bei untergeschobenen Trachten und Flachhufen auftreten. Mit Ausnahme der genannten Hufformen stehen alle diese Faktoren in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Hufklima.

Zusammenfassung

Aufgrund der verschiedenen Hornarten und ihrer komplexen Wechselwirkung mit der Umgebung ist es berechtigt, von einem Hufklima zu sprechen, das sich auf die äußeren Verhältnisse des Pferdehufs bezieht. Das Hufklima ist von einer Vielzahl komplexer, sich gegenseitig beeinflussender Faktoren abhängig. Es gibt eine ganze Reihe klimabezogener Erkrankungen der Hornkapsel und ihrer Bestandteile, die zwar nicht in jedem Fall ursächlich auf ein gestörtes Hufklima zurückgeführt werden können, jedoch stets davon begleitet werden. Angemessene Haltungsbedingungen und physiologische Hufformen sind gleichbedeutend mit gesunden Hufen und einem gesunden Hufklima.

  • Biernat, J.; Rasch, K.: Der Weg zum gesunden Huf. Müller-Rüschlikon 2003
  • Wiesner, E.; Ribbeck, R.: Lexikon der Veterinärmedizin, 4. Aufl., Enke 2000
  • Stashak, T. S. (Hg.): Adams’ lameness in horses. 5th ed., Lippincott Williams & Wilkins 2002
  • Cavallo Spezial 1/2004, Das große Medizin-Kompendium