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Das Potential des Barhufes bei der Sanierung von Hufreheschäden

von Dr. Konstanze Rasch

0 Einleitung

Wie bei vielen Huf- und Beinerkrankungen gilt es auch bei der Hufrehe bislang als kaum umstritten, dass zur Therapie der rehegeschädigten Hufe ein orthopädischer Beschlag (oder auch Bekleb) [1] hilfreich ist. Nicht wenige Tierärzte betrachten diesen sogar als absolut notwendig. Es herrscht in der Tiermedizin wie auch in weiten Teilen der Hufbearbeiter nahezu Einigkeit in der Gewissheit, dass – wenn überhaupt – die Rückführung eines Rehehufes in normale physiologische Verhältnisse nur mittels orthopädischem Beschlag möglich ist.

Ich möchte im Folgenden nicht nur den Beweis antreten, dass dies anders als geglaubt mit dem Barhuf sehr gut möglich ist. Ich möchte auch darlegen, dass und wie der Beschlag das therapeutische Vorhaben, die Reheschäden zu verhindern und zu sanieren, aus meiner Sicht eher erschwert, anstatt es zu erleichtern.

1 Der geschädigte Rehehuf

Bei einer Hufrehe erkrankt der Hufbeinträger. Dessen Funktionsverlust und dessen Schädigung prägen das Bild des Rehehufes. Das Ausmaß seiner Schädigung entscheidet darüber, inwiefern auch zusätzlich noch andere Strukturen des Hufes – bspw. die Kronlederhaut, das Kronpolster, die Sohlenlederhaut oder der Hufbeinrand - mitgeschädigt werden.

Je nach auslösender Ursache und begleitenden Umständen kann eine Hufrehe leichten bis sehr schweren Schaden am Hufbeinträger hinterlassen. Leicht geschädigte Hufe haben die Tendenz, sich „aus eigener Kraft“ zu erholen. Tun sie dies nicht, so liegt das fast immer an neuerlichen Reheschüben und dem Weiterbestehen der Reheursachen. Letztere sind dabei zumeist vergesellschaftet mit einer Insulinresistenz der betroffenen Pferde. Bei EMS-Pferden fällt der erste Hufreheschub sehr oft moderat aus, was leider manchen Pferdebesitzer dazu verleitet, die Problematik nicht ausreichend ernst zu nehmen. Bestehen Überfütterung und Bewegungsmangel fort, folgt meist der zweite und dritte Reheschub und die Schäden an den Hufen werden nachhaltiger.[2]

Ich möchte mich in meinen folgenden Ausführungen allerdings hauptsächlich auf die stärker geschädigten Hufrehefälle beziehen. Mehr als bei den leichtgeschädigten Hufen mit ihrem großen Selbstheilungspotential gewinnt bei den Rehehufen mit schwereren Schäden der Umgang mit dem Huf selbst, sprich die Art und Weise seiner Bearbeitung nach der Hufrehe, enorm an Gewicht. Die Hufbearbeitung wird hier zu einem ganz entscheidenden Faktor dafür, ob die Sanierung der Reheschäden gelingt oder nicht.

Im Falle einer massiveren Beschädigung des Hufbeinträgers verändert sich die Hufform in den Monaten nach einer Hufrehe mehr oder weniger stark. Die Hufwände, in erster Linie die Zehenwände, mitunter aber auch die Seitenwände, werden schräger. Die Blättchenschicht wird breiter. Die Trachten verändern sich in ihrer Höhe und Winkelung zum Boden. Diese Veränderungen werden gemeinhin als negativ angesehen und sie stellen ja auch tatsächlich im Vergleich zum physiologischen Normalzustand des Hufes vor der Hufrehe eine Verschlechterung dar. Dennoch muss man sich bewusst machen, dass die Veränderungen am Hornschuh zunächst einmal die direkte Reaktion auf die aktuell veränderten Gegebenheiten im Inneren des Hufes darstellen. Aus dieser Perspektive betrachtet, entspricht die verbildete Hufform zunächst durchaus erst einmal „dem physiologischen Zustand“ eines Rehehufes.

1.1 Der Narbenhornkeil – sinnvolle Eigenleistung oder Störfaktor?

Zum Genesungsprozess der Hufe nach einer Hufrehe gehört bspw. ganz notwendig, dass der beschädigte Hufbeinträger durch eine vermehrte Hornzubildung über der Wandlederhaut repariert wird. Das ist sinnvoll und ermöglicht als einziges eine schnelle Wiederherstellung der Hufbeinaufhängung. Letztere weicht in ihrem Aufbau und ihrer Struktur nun zwar von den Gegebenheiten einer normalen Hufbeinträgersituation ab, sie leistet dennoch den wichtigen Dienst, die Verbindung zwischen Hufbein und Hornwand in kürzester Zeit wieder zu stabilisieren. Pferde, die das akute Hufrehegeschehen überwunden haben, kommen aus diesem Grund recht schnell wieder zum Laufen.

Man geht stets davon aus, und früher habe ich dies auch selbst geglaubt, dass der Narbenhornkeil die nachwachsende Hufwand von ihrer normalen Wachstumsrichtung ablenkt. Mittlerweile weiß ich aus eigener Erfahrung (die durch die Erfahrungen meiner Kollegen gestützt und vermehrt wird), dass die Hornwand mitsamt dem vorhandenen Narbenhornkeil mit ein klein wenig Unterstützung recht zuverlässig wieder ihren Weg zum Boden findet.

Ich kann nicht sagen, ob sie dies auch tut, wenn ein solcher Huf sich selbst überlassen wird. Die üblicherweise zu sehenden vernachlässigten Rehehufe, die ohne Hufbearbeitung auskommen müssen, beweisen nicht wirklich das Gegenteil. Denn in der Regel sind diese Pferde auch in den übrigen Dingen wie im Futter- und Haltungsmanagement vernachlässigt, d.h. es gibt hier immer wieder neue Reheschübe, so dass die bleibenden Verformungen der Hufe nicht als Beleg für ein „das geht nicht“ genommen werden können. Ich tendiere eigentlich eher zu der Annahme, dass Hufe durchaus auch allein und aus eigenen Kräften ein einmaliges Reheereignis überwinden können, wenn sie die Chance auf ausreichend Abrieb haben und die Reheursachen tatsächlich abgestellt sind. Solange sich der Schaden nur auf den Hufbeinträger bezieht, wird der Narbenhornkeil mit dem Nachwachsen des Hornschuhs herausgeschoben und verschwindet. Die Hornwände nehmen ihre ursprüngliche Stellung zum Hufbein wieder ein, die Reheverformungen verschwinden. Was mich zu dieser Annahme bringt, ist meine Beobachtung, wie wenig ich selbst mit meiner Hufbearbeitung am Rehehuf tun muss, wenn Haltung und Bodenverhältnisse stimmen. Ich gebe in diesen Fällen tatsächlich nur ein klein wenig Unterstützung und Zehenwand und Seitenwände wachsen am Hufbeinrücken entlang nach unten und schieben den Narbenhornkeil binnen eines Jahres heraus.

Meine Unterstützung besteht hierbei hauptsächlich darin, die Zehenwand durch Ausdünnen und hoch ausschleichendes Beraspeln a) in ihrer Hebelkraft einzudämmen, ihr b) hierdurch einen gewissen Abrieb zu ermöglichen, sie c) aber auch in ihrer Funktion als schützendes, feuchtigkeitsbewahrendes und statisch erforderliches Wandelement zu erhalten. 

Diese Methode funktioniert zuverlässig, wenn die Haltungsbedingungen der Rehepferde optimal sind[3] und bestehende Stoffwechselproblematiken erfolgreich therapiert werden. Der Narbenhornkeil wächst in diesen Fällen zuverlässig heraus, die Hornwände wachsen am Hufbeinrücken entlang und die Parallelität zwischen Hornwand und Hufbein ist am Ende des Prozesses wiederhergestellt. 

Dauert der Prozess des Durchwachsens länger, wie bspw. beim Huf in Abb. 4, dann sind in der Regel die äußeren Bedingungen nicht optimal. Meist ist es die Fütterung, die ein Wiederaufflammen der Hufrehe oder ein schleichendes Vor-sich-Hin-Rehen bedingt, aber auch fortbestehende, ungelöste Stoffwechselprobleme (PPID, Cortison-Langzeitfolgen, ...) verhindern nicht selten den normalen Heilungsprozess der Hufe. Das Pferd aus den Abb. 2-4 litt unter PPID (Pituitary Pars Intermedia Dysfunction) samt Insulinresistenz und bekam leider auch immer wieder Koppelgang. Solche Erschwernisse, welche die Gesundung der Hufe von Rehepferden behindern, sind leider nicht selten. Aber auch in diesen Fällen ändert sich nichts am Prinzip des Einmal-Durchwachsen-Müssens der Hornkapsel, nur dass sich der Prozess in dem Maße verzögert, in dem wiederholte kleine oder auch große Reheereignisse erneute Schäden im Hufbeinträger hinterlassen. Die Betrachtung des Narbenhornkeiles als sinnvolle Reparaturmaßnahme und die Akzeptanz der Schrägwandigkeit und Disparallelität der Hornwände zum Hufbein als vorübergehende und „von selbst“ herauswachsende beste Übergangslösung, wird im Allgemeinen nicht geteilt. Die Mehrheit der Tiermediziner und Hufbearbeiter betrachten den Narbenhornkeil ausschließlich als Störfaktor und sehen in einer mehr oder weniger drastischen Zurücknahme der Zehenwand die beste Chance auf die Wiederherstellung einer gesunden Hufsituation. Häufig findet schon im akuten Stadium der Hufrehe eine Zehenwandresektion statt. Auch später dann, in der Nachrehezeit, wird die Zehe zumeist sehr stark bearbeitet. Und nicht selten wird auch – kontrolliert durch Röntgenaufnahmen – explizit eine „Parallelität zwischen Hufbeinrücken und Zehenwand“ hergestellt. Nur dass letztere, sprich die Zehenwand, dann zu einem Gutteil nicht mehr vorhanden ist, die Parallelität also lediglich eine behauptete ist. Ich sehe in diesen Vorgehensweisen einige Gefahren, die zum Teil durchaus auch die Qualität besitzen, das Projekt Wiederherstellung der Hufgesundheit scheitern zu lassen.

1.1.1 Massive Zehenwandbearbeitung und ihre Folgen für den Rehehuf

a) Austrocknung der Epidermis und Schädigung der mit ihr eng verbundenen Dermis

Mit der Entfernung der Zehenwand entfernt man die Schutzschicht über dem Blättchenhorn (Zehenwandresektion im akuten Stadium), bzw. legt man den bereits entstandenen Narbenhornkeil frei (Herstellung von Parallelität, Abrollpunkt zurück verlagern etc.). Es ist allerdings so, dass beide, Blättchenhorn wie auch das nach einer Rehe gebildete Narbenhorn, eine sehr geringe Wasserspeicherungsfähigkeit besitzen. Wird die Hornwand über ihnen entfernt, so trocknet dieses Horn in kürzester Zeit aus.[4] Das ist dramatisch, bedenkt man die direkte Verzahnung von Hornblättchen und Narbenhorn mit den Blättchen der Wandlederhaut. Ein ausreichender Feuchtigkeitsgehalt von Blättchen- und Narbenhorn ist durch die Nähe und direkte Verbindung mit den weichen und fragilen Wandlederhautblättchen unerlässlich. Und dieser Feuchtigkeitsgehalt ist auch gewährleistet, solange die Hornwand das Blättchen- und Narbenhorn bedeckt und vor Austrocknung bewahrt. Die durch Diffusion aus dem lebenden Gewebe in das angrenzende Horn eindringende Feuchtigkeit sorgt unter normalen Bedingungen dafür, dass die zwischen den Wandlederhautblättchen liegenden Hornblättchen und auch das neugebildete Narbenhorn eine weiche und nachgiebige Konsistenz aufweisen. Wird jedoch die darüber liegende Hornwand entfernt, führt die rasche Austrocknung des verbliebenen Blättchen- und Narbenhornes zu einer sehr harten und spröden Konsistenz.[5]

In diesem ausgetrockneten Zustand sind Blättchen- und Narbenhorn wenig geeignet, um eine schad- und schmerzfreie Verbindung mit den fragilen Wandlederhautblättchen zu halten. Ich glaube tatsächlich, dass die Schadwirkung auf die Wandlederhaut, die hieraus entsteht, mitunter den ursprünglichen Schaden des Reheschubs nicht nur vergrößert, sondern womöglich noch übertrifft. Auch eine erhöhte Schmerzhaftigkeit kann leicht hieraus folgen, was man am Barhuf sehr gut beobachten kann. Wird der so behandelte Huf allerdings mit einem Beschlag oder Bekleb versehen, wird die Schmerzhaftigkeit wieder gemindert. Dass hieraus dann häufig der Schluss gezogen wird, Rehehufe profitieren in punkto Schmerzfreiheit ganz offensichtlich vom Beschlag, finde ich nicht statthaft. Schließlich wurde der Huf in dem Fall erst durch die massive Bearbeitung der Hornwand in die Lage gebracht, dass er einen Beschlag oder sonstigen Schutz benötigt.

b) Ungünstige Hufstatik mit Folgen für die Kronlederhaut, die Hufform und die Rotationsneigung des Hufbeines

Durch das Entfernen der Wand im Zehenbereich wird die Hufstatik ungünstig verändert. Die Zehenwand fehlt nicht nur als schützendes und feuchtigkeitsbewahrendes, sondern auch als statisches Element. Die Seitenwände werden in der Folge überlastet und der Kronsaum über diesen Wänden wird dauerhaft nach oben verschoben. Umso länger diese Situation anhält, umso stärker wird der Schwung im Kronsaum, der gleichzeitig auch die Verlagerung der Kronlederhaut mitsamt der unter ihr liegenden subcutis anzeigt. Diese Verlagerung ist später nicht mehr rückführbar. D.h. selbst wenn die Bearbeitung zu einem späteren Zeitpunkt wieder geändert und die Zehenwand am Huf belassen wird, haben Kronlederhaut und Kronpolster keine Veranlassung ihren alten Platz wieder einzunehmen. Da über der Kronlederhaut die Hornwand gebildet wird, verändert sich die Hufform solcher Hufe dauerhaft.

Bedacht werden sollte auch der Hinweis meiner Kollegin Astrid Arnold, dass die Veränderung der Hufstatik, wie sie durch die Wegnahme der Zehenwand und Unterbrechung des geschlossenen Wandverlaufes erfolgt, die Kraftübertragung auf die Kronlederhaut auch im Bereich der Zehe eher ungünstig beeinflusst. Die Neuausrichtung der Kronlederhautzotten nach vorangegangener Verlagerung durch Hufbeinsenkung und/oder Rotation der Zehenwand scheint durch eine Zehenwandresektion gefährdet. (ARNOLD 2017: 42f.) Ein weiteres Problem kann dadurch entstehen, dass die starke Bearbeitung der Zehenwand das Hufbein (nach)rotieren lässt. Es sind dabei letztlich zwei Momente, die hierzu beitragen können. Zum einen erhöht die massive Bearbeitung der Zehenwand nicht selten die Schmerzempfindung des Pferdes im Huf. Diese erhöhte Schmerzhaftigkeit am Fuß führt zu einer vermehrten Anspannung der Beugemuskulatur und hierüber zu einem erhöhten Zug an der tiefen Beugesehne (TBS) und damit am Hufbein.[6] Auf der anderen Seite wird durch die Wegnahme der Zehenwand das Widerlager zur TBS geschwächt. Das ist ein zweites Moment, welches die Rotation des Hufbeines nach hinten befördern kann. Nicht zu vergessen ist die zusätzliche Gefahr für den Hufbeinträger in den Seitenwandbereichen. So kann bei schiefen Hufen durch die Entfernung der Zehenwand zusätzlich eine Seitenwandrotation ausgelöst werden, denn die Überlastung der Seitenwände geht immer auch mit einer Mehrbelastung des Hufbeinträgers an dieser Stelle einher.

1.2 Steiler werdender Palmarwinkel des Hufbeines - verhinderbar, rückführbar oder akzeptierbar?

Eine recht häufige Formveränderung, die Rehehufe zeigen, ist die Ausbildung höherer Trachten. Meist wird diese Entwicklung als Folge eines schnelleren Trachtenwachstums interpretiert. Ich glaube jedoch nicht, dass das die tatsächliche Erklärung für die Zunahme der Trachtenhöhe dieser Hufe ist. Man kann beobachten, dass die Dauer der Schmerzhaftigkeit der Rehesituation direkt mit der Zunahme der Trachtenhöhe der Rehepatienten korreliert. D.h. je länger ein Pferd nicht aus dem Rehegeschehen herauskommt, sei es systemisch oder durch falsche Maßnahmen am Huf bedingt, umso mehr neigen seine Hufe zur Ausbildung hoher Trachten. Ursache hierfür ist in meinen Augen in erster Linie die schmerzbedingte Verkrampfung und Daueranspannung der Muskulatur, die schlussendlich einen permanenten Zug auf die TBS ausübt und so das Hufbein mehr und mehr in eine steilere Stellung zieht.

Kann diese Entwicklung durch die Hufbearbeitung verhindert werden?

Das wird nicht selten versucht. Mit der Erklärung im Hinterkopf, „die Trachten wachsen schneller als die Zehe“, greifen Hufbearbeiter regelmäßig „regulierend“ ein und kürzen die Trachten. Man kann hiernach an diesen Hufen beobachten, wie die Trachtenhöhe wieder neu entsteht, so dass auch bei den nächsten Terminen die Trachten erneut gekürzt werden müssen. Dieser Kreislauf wird erst dann unterbrochen, wenn die Schmerzhaftigkeit der Rehe- und Hufsituation nachlässt und das Hufbein keinen stetigen Dauerzug nach hinten mehr erhält. Nun ist aber das Kürzen der Trachten in der noch immer schmerzhaften Situation alles andere als ein Garant dafür, dass der o.g. Kreislauf unterbrochen wird. Vielmehr ist die Gefahr recht groß, dass genau dieser Eingriff die Schmerzhaftigkeit der Situation aufrecht erhält oder sie überhaupt erst wieder aufflammen lässt. Die Verringerung der Trachtenhöhe durch die Hufbearbeitung führt ganz unmittelbar zu einem Anstieg der Zugkraft der TBS. Die erste Reaktion der muskulären Anteile der TBS auf diese erhöhte Zugspannung ist Anspannung. Und aus logischer Betrachtung folgt auch später keine andere zweite und dritte Reaktion, die Muskulatur bleibt fest, solange die Situation unangenehm gespannt ist. Und das dauert solange an, bis sich das Hufbein wieder in dem, seinem Spannungszustand entsprechenden Palmarwinkel befindet und dabei ausreichend durch seine Trachten unterstützt wird. Das Pferd verschafft sich seine „bequeme“ Trachtenhöhe, vielleicht auch - wobei ich nicht weiß, ob das tatsächlich stattfindet - durch ein schnelleres Wachstum seiner Trachten.

Gleichzeitig verstärkt das Kürzen der Trachten, wenn es so erfolgt, dass der Hufwinkel verändert und der Huf nach hinten gekippt wird, eine verstärkte Belastung des Hufbeinträgers in der Zehe. Ein solches einseitiges (vermehrtes) Kürzen der hinteren Hufabschnitte erhöht nicht nur prompt die Zugkraft der TBS, es stellt zudem die Zehenwand schräger zum Boden. Das lässt die Belastung auf den Hufbeinträger in der Zehe zusätzlich ansteigen.

Kann denn diese Entwicklung zu höheren Trachten nach dem Abklingen der Hufrehe und der Genesung des Pferdes und seiner Hufe wieder zurückgeführt werden? Das ist in manchen Fällen möglich, in anderen nicht. Pferde, die eine sehr heftige Reheerkrankung erlitten haben, welche dann auch längere Zeit zur Ausheilung benötigt hat, behalten nicht selten höhere Trachten als zuvor. Das trifft immer auch auf Pferde zu, deren wiederholte Reheschübe eine vollständige Ausheilung der Reheschäden verhindern. Letztlich sind die hohen bis sehr hohen Trachten auch immer dort von Bestand und nicht mehr rückführbar, wo die Heftigkeit und/oder die Dauer des Hufreheereignisses irreparable Schäden am Hufbein und an den Lederhäuten hinterlassen hat.

Abb. 11a-c: Diese Stute hatte - jeweils in der Weidesaison - schon einige Reheschübe erlitten. Zwischendurch erholte sie sich leidlich vom Rehegeschehen. Die Trachtenhöhe entspricht der schmerzhaften, aber letztlich noch aushaltbaren Situation. Das Hufbein ist abgesunken, die Hufbeinspitze und die Wandlederhaut sind verändert.

Abb. 12a-c: Diese Warmblutstute hatte zwei Jahre zuvor ihren ersten Reheschub aufgrund von Überfütterung und plötzlichem Bewegungsmangel. Es folgten mehrere Rückfälle und es kam letztlich zu keiner vollständigen Erholung. Die Trachtenhöhe entspricht der für sie immer wieder sehr schmerzhaften und aktuell kaum aushaltbaren Situation. Die Hufbeinspitze ist stark beschädigt.

Abb. 13a-c: Dieser Ponywallach litt zu diesem Zeitpunkt bereits seit vielen Jahren unter seinen chronischen Rehehufen. Die Trachtenhöhe entspricht der ohne Unterlass schmerzhaften und kaum aushaltbaren Situation. Das Hufbein ist stark eingesunken und die Hufbeinspitze ist abgebrochen.

Die Trachten werden letztlich umso höher, je schmerzhafter die Hufsituation ist. Wenn man diesen Pferden überhaupt mit der Hufbearbeitung helfen möchte und kann, dann ist die Akzeptanz der bestehenden Trachtenhöhe hierfür in jedem Fall unerlässlich.

Aber auch bei Rehepferden, die ihre Reheerkrankung überstanden haben und wieder auf dem Weg zu einer gesunden Hufsituation sind, ist es nicht hilfreich, auf ein Kürzerwerden der Trachten zu drängen. Am leichtesten schwindet die Trachtenhöhe nämlich genau dann, wenn man nicht absichtsvoll hinter kürzeren Trachten her ist. Das liegt an dem oben von mir bereits ausgeführten Zusammenhang zwischen schmerzbedingter Anspannung und Steilheit des Hufbeines, sowie an der unmittelbaren Wirkung des händischen Trachtenverkürzens (siehe Abb.10). Der einfachste und sicherste Weg zu einem wieder flacher werdenden Palmarwinkel des Hufbeines und kürzeren Trachten ist es, die Hufsituation sukzessive wieder bequemer werden zu lassen, dann stellt sich die moderate Trachtenhöhe mit ein wenig Unterstützung ganz von selbst ein. Die Unterstützung besteht in dem Fall darin, mögliche Hindernisse wie hohe Eckstreben, zugewucherte Sohlenwinkel und breite Tragedreiecke zu beseitigen und den Huf insgesamt nicht zu hoch, sprich überständig werden zu lassen.

Boden- und Haltungsgegebenheiten, die den Abrieb fördern, sind hierbei sehr hilfreich. Da die Pferde zu dem Zeitpunkt, von dem wir jetzt reden, mit ihren durchaus noch reheverbildeten Hufen schon wieder recht bequem laufen, (denn die Schmerzfreiheit ist ja die Voraussetzung für das überhaupt wieder Niedriger-werden-können der Trachten), benötigen sie für ihr bloßes Gehen und Stehen auch keinen Hufschutz. Das heißt, der Abrieb, der nötig ist, kann auch tatsächlich stattfinden. Einzig wenn die Arbeit mit dem Pferd wieder aufgenommen werden soll und hierbei auch harte und steinige Böden unter die Hufe genommen werden, kann ein Hufschutz nötig sein. Dabei ist eine temporäre Hufschutzlösung wegen der noch immer bestehenden Reheverformungen, die man sanieren möchte, aus meiner Sicht einem dauerhaften Hufschutz vorzuziehen.

2 Weshalb Barhuf?

Auch wenn ich eingangs davon gesprochen habe, dass leicht geschädigte Rehehufe ein recht gutes Selbstheilungspotential besitzen, bin ich doch kein Fanatiker der Natur dergestalt, dass ich meine, das alles würde sich von allein am besten regeln und man müsse der Natur einfach nur ihren Lauf lassen. Ich bin entschieden dafür, dass der Mensch seiner Sorgfaltspflicht und Verantwortung für das Haustier Pferd nachkommt und dem Genesungsprozess der Hufe, wo immer der es braucht, hilfreich unter die Arme greift. Ich rede auch nicht deshalb von Barhufsanierung, weil ich meine, der Beschlag ist weniger natürlich als der Barhuf und von daher abzulehnen. Ich rede von Barhufsanierung bei Rehehufen, weil diese hervorragend funktioniert und weil es uns gelungen ist, die Prinzipien aufzudecken, nach denen sie funktioniert. Diese Prinzipien können mit dem Beschlag (und das gilt gleichermaßen für den Bekleb, da einfach für jeden dauerhaft angebrachten Hufschutz) nicht angewandt werden, d.h. sie sind dann nicht nutzbar.

2.1 Abrieb ist der Freund des Rehehufes

Wie für jeden wenig genutzten Huf gilt auch für den Rehehuf, dass die Hornwände gern zu lang werden. Das Rehepferd ist zunächst auf „Boxen“-Ruhe angewiesen, bis das akute Rehegeschehen überstanden und der Hufbeinträger durch das Narbenhorn ausreichend stabilisiert ist. Es steht in weicher Einstreu oder auch in Verbänden und bewegt sich explizit wenig. Lässt die akute Schmerzhaftigkeit nach, wird die Bewegung zumindest auf weichem Boden wieder mehr. Harte Böden werden indes zunächst noch immer gemieden, können aber zunehmend in angemessenem Tempo wieder mit begangen werden. Aber auch dann ist die Abriebsituation noch moderat. Der Bewegungsumfang und die Bodenbedingungen sind der Rehehufsituation angepasst und sollten das auch sein. In dieser Situation benötigen die Hufe keinen Abriebschutz. Ganz im Gegenteil, sie benötigen vielmehr jede Unterstützung dahingehend, dass sich das nachwachsende Horn ausreichend abreiben kann. Wird jetzt ein dauerhafter Hufschutz angebracht, so findet Null Abrieb statt. Das schränkt die Möglichkeit ein, den Rehehuf über die Zeit „in Form“ zu halten. Der Rehehuf ist bei jedem Beschlagwechsel deshalb in starkem Maße korrekturbedürftig und der Hufbearbeiter gerät in die „Zwangslage“, den Huf jedes Mal beim Umbeschlagen nachkorrigieren zu müssen. Im Eigentlichen muss der Huf dann sogar überkorrigiert werden, da man die neuerliche Entwicklung bereits voraussehen kann und diese natürlich gern verhindern möchte. Die Zehenwände werden aus diesem Grund sehr stark zurückgenommen, um ihr neuerliches „zu lang werden“ zu verhindern. Auch die Trachten werden - sollten sie zum Höherwerden neigen - beim Umbeschlagen mehr oder weniger stark eingekürzt. Die Konsequenzen dieser Korrekturmaßnahmen wurden in den oberen Abschnitten bereits aufgezeigt. Sie lassen sich indes beim beschlagenen Rehehuf nicht wirklich verhindern. Anders verhält sich das beim unbeschlagen bleibenden Rehehuf. Hier kann durch die Nutzung und die Steuerung des Abriebs dafür gesorgt werden, dass weder die Trachten- noch die Zehenwände überlang werden und eine ungünstigere Form und Stellung zum Boden ausbilden. Der Rehehuf bleibt über die Zeit besser in Form und stark korrigierende Eingriffe, die gerade bei Rehehufen ein hohes Risiko darstellen, werden gar nicht nötig.

Im Unterschied zur herrschenden Lehrmeinung möchte ich also sagen: Barhuf lässt sich das Ziel der Rückführung eines Rehehufes in wieder normale physiologische Verhältnisse deutlich leichter verfolgen als mit dem Beschlag. Das wird bislang genau andersherum gesehen und entsprechend auch praktisch anders gehandhabt:

„Orthopädische Maßnahmen haben bei der Hufrehe das Ziel, das Risiko der Hufbeinverlagerung zu verhindern, bzw. in Grenzen zu halten (STASHAK, 1989b; HÖPPNER, 2004). Bei der beginnenden Hufbeinspitzensenkung muss nach dem Abklingen der akuten Symptomatik ein orthopädischer Hufbeschlag angelegt werden, um so der Hufbeinspitzensenkung entgegen zu wirken und um eine Knollhufbildung zu verhindern (RUTHE u. MÜLLER, 1997). Besonders, wenn es schon zu einer Verbildung des Hufes gekommen ist, wird ein entsprechender Beschlag notwendig.“ (Lingens 2008: 39)

Es geht neben der Rückführung zu einer Normalhufsituation bei der orthopädischen Behandlung der Hufrehe stets auch um Schadensbegrenzung und um Schmerzreduktion. Können diese Ziele mit dem Beschlag besser umgesetzt werden als am Barhuf?

2.2 Schadensbegrenzung und Schmerzreduktion

Die bestmögliche Schadensbegrenzung besteht darin, das akute Rehegeschehen schnellstmöglich zum Abklingen zu bringen. Deshalb sind hierfür alle erforderlichen und nützlichen Maßnahmen zu ergreifen. Neben der richtigen systemischen Behandlung der Hufrehe[7] kann auch die Orthopädie am Huf dabei einen guten Beitrag leisten. Der Beitrag besteht darin, den Hufbeinträger so effektiv wie möglich zu entlasten. Am besten geht dies (abgesehen von „Boxenruhe“, Ablegen des Pferdes oder Aufhängen per Swinglifter) durch die Umverteilung der Gewichtslast a) vom Tragrand auf Sohle und Strahl und b) weg vom besonders betroffenen Zehen- hin zum Trachtenbereich des Hufes. Sehr hilfreich ist hier die Anbringung eines Polsters, welches aus einem weichen und reversibel verformbaren Material beschaffen sein sollte. Je nach Hufsituation und sohlenseitiger Schmerzempfindlichkeit vor der Strahlspitze muss das Polster individuell gestaltet werden. Es kann mit einem Verband recht einfach und haltbar befestigt werden. Bei Hufen mit sehr flacher oder auch bereits nach hinten gebrochener Zehenachse ist es zudem oft hilfreich, wenn der Trachtenbereich etwas stärker unterpolstert wird, so dass es zu einer gelinden Anhebung und besseren Unterstützung dieses Bereiches kommt. Bei ohnehin schon steilerer Zehenachse oder bei Hufsituationen mit nach vorn gebrochener Huf-Fessel-Achse halte ich die Erhöhung des Trachtenbereiches für unnötig bzw. sogar für problematisch. Unter Umständen führt eine Anhebung des hinteren Hufbereiches bei diesen Situationen zu einer unerwünschten Mehrbelastung des Hufbeinträgers im Bereich der Zehenwand, bewirkt letztlich also das Gegenteil dessen, was man eigentlich beabsichtigt.[8]

2.2.1 Diagnose Hufbeinrotation und daraus folgende orthopädische Maßnahmen

In einigen Pferdekliniken betrachtet man die Erhöhung des Palmarwinkels des Hufbeines bei Hufrehe als unerlässliche orthopädische Erstmaßnahme zur Entlastung des Hufbeinträgers. Zum Teil wird dies auch in Universitäten und Tierärztlichen Hochschulen so gelehrt. Hintergrund dafür ist die Annahme, dass der Zug der TBS in der akuten Phase der Hufrehe dafür sorgt, dass das Hufbein aus seiner ursprünglichen Stellung heraus nach hinten gezogen wird.[9] Den Beweis für diese Annahme liefern Röntgenaufnahmen, in denen eine Schere zwischen Hufbeinrücken und Zehenwand zu sehen ist. Selbst in explizit diesem Thema gewidmeten Dissertationen[10] und Vortragsunterlagen wird jedoch häufig nicht unterschieden, ob sich das Hufbein im konkreten Fall in gestreckter Fortsetzung der Zehenachse befindet oder ob es aus dieser heraus nach hinten gezogen ist. Im ersten Fall handelt es sich bei dem Auseinanderweichen von Hufwand und Hufbein um eine Bewegung der Zehenwand, im zweiten Fall könnte es sich theoretisch um eine Bewegung des Hufbeines nach hinten (Hufbeinrotation) handeln. Sicher sein kann man sich indes nicht, da nicht wenige Pferde bereits von Haus aus eine Hufgelenksflexion aufweisen. Solche Pferde finden sich auch recht häufig unter den Rehepferden wieder, weil bei der Hufbearbeitung diese (oft auch nur auf einem Vorderbein vorhandene) „Fehlstellung“ nicht toleriert wird, sondern durch vermehrtes Trachtenkürzen wieder und wieder korrigiert wird.[11]

Abb. 14: Fünf Jahre alte Morgan Stute: Diese Stute hat nie eine Hufrehe erlitten, aber das Röntgenbild wurde in einer Ankaufsuntersuchung als vorangeganges Rehegeschehen interpretiert.

Dies war nicht der Fall. Die Schere zwischen Hufbeinrücken und Zehenwand entstand  einzig und allein durch die Hufgelenksflexion, welche das Pferd im Fohlenalter erworben hatte (Bockhuf, Tiefe Beuegesehne) und den jahrelangen Versuchen den Hufwinkel flacher zu bekommen um die Hufe anzugleichen.

Was man in der Praxis tatsächlich recht häufig beobachten kann, ist eine Hufbeinrotation während der späteren chronischen Phase der Hufrehe. Wie ich weiter oben bereits ausgeführt habe, sehe ich die Hauptursache hierfür in der schmerzverspannten Muskulatur. POLLITT, der ebenfalls sachdienliche Belege für eine Hufbeinrotation während der akuten Phase der Hufrehe vermisst,[12] sieht hierfür noch eine andere Ursache. Seiner Ansicht nach wird die Hufbeinrotation im chronischen Stadium der Hufrehe durch die Verlagerung der Terminal- und Sohlenrandlederhautpapillen verursacht, durch welche ein einwärts gerichtetes Hornwachstum stattfindet.

"Rotation of the distal phalanx is not an acute phenonomen and its appearance does not correlate to when the dorsal hoof lamellae are at their weakest; the acute phase. Instead distal phalanx rotation first appears around six weeks after laminitis development, just when displaced, inward growing terminal wall and sole tubules reach the distal margin of the third phalanx.“ (Pollitt 2008: 66) 

Aus den genannten Gründen halte ich das explizite Hochstellen der Trachten zur Verhinderung einer Hufbeinrotation in der akuten wie chronischen Phase der Hufrehe eher für einen Kampf mit einem imaginären Feind. Die eigentliche Problematik, der wahre Feind wenn man so will, wird dabei leicht aus den Augen verloren. Und das ist die Hufkapselrotation, die bei jeder Hufrehe stattfindet und deren Ausmaß es möglichst zu begrenzen gilt.[13] Ich bezweifle, dass eine Trachtenerhöhung zu diesem Vorhaben beitragen kann, vielmehr sehe ich das Risiko einer unerwünschten Mehrbelastung des Hufbeinträgers.

Alle genannten orthopädischen Maßnahmen zur Begrenzung des Schadens der Hufrehe sollen im gleichen Maße auch der Schmerzreduktion dienen. Deshalb kann man auch sagen: Das letzte Wort bei all diesen Maßnahmen hat das Pferd. Reagiert es mit einer Verbesserung seines Befindens oder erfolgt eine Verschlechterung? Die Reaktion des Pferdes ist für den Hufbearbeiter sehr aufschlussreich. Sie kann allerdings nur dann als Reaktion auf die orthopädische Maßnahme genommen werden, wenn nicht zeitgleich mit der Maßnahme Schmerzmittel verabreicht werden. Das ist jedoch sehr oft der Fall. Ich möchte deswegen jetzt nicht dafür plädieren, dem Pferd ein benötigtes Schmerzmittel vorzuenthalten, aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass eine von einer Besserung gefolgte orthopädische Maßnahme bei gleichzeitiger Neueinstellung auf Schmerzmittel, nicht den Schluss rechtfertigt, die orthopädische Maßnahme selbst habe die gewünschte Verbesserung erbracht. Hier gilt es zu unterscheiden!

Welche Schadensbegrenzung ist im Weiteren nun angezeigt, wenn die akute Symptomatik einer Hufrehe abgeklungen ist?

Laut LINGENS bspw. sollte in jedem Fall ein orthopädischer Hufbeschlag angelegt werden, „um so der Hufbeinspitzensenkung entgegen zu wirken und um eine Knollhufbildung zu verhindern“. (LINGENS 2008: 39) Es gibt verschiedene traditionelle und moderne Hufbeschläge und Beschlagmodifikationen die hierfür eingesetzt werden. Auch orthopädische Zusatzmaßnahmen wie der oben bereits beschriebene Umgang mit der Zehenwand (Zehenwandresektion, starkes Beraspeln der Zehe, Dünnfräsen der Zehenwand) oder auch das Anbringen von Rillen unterhalb des Kronsaums, werden ergriffen.

Ich habe bereits dargelegt, weshalb ich diese orthopädischen Maßnahmen für ungünstig erachte. Und ich habe auch dargestellt, wie der Beschlag aus meiner Sicht die Sanierungsbemühungen und im dem Maße natürlich auch die Schadensbegrenzung eher erschwert als erleichtert. Aber wie sieht es mit der Schmerzreduktion aus, ist hierfür nicht der dauerhafte Hufschutz das Mittel der Wahl?

Wenn wir davon ausgehen, dass sich das Rehepferd nach überstandener Erkrankung zunächst einmal in der Rehabilitation befindet, dann benötigt es in der Regel außer den passenden Boden- und Haltungsbedingungen (siehe Fußnote 2) keinen schmerzreduzierenden Hufschutz. Der Zwang zum dauerhaften Hufschutz (als Schmerzmittel) kommt nur dann auf, wenn die Nutzung und Haltung des Pferdes dies einfordert. Sprich, das Pferd soll wieder in die Arbeit genommen werden oder muss aus Managementgründen Böden begehen, die für seine in Reha befindlichen Hufe ungeeignet sind. Man kann sagen, so ist die Realität für einige Rehepferde und diese profitieren dann von einem Hufschutz. Das ist zweifellos richtig, streicht aber nicht durch, dass die Hufsanierung unter diesen Bedingungen eben schwieriger wird.

Wann ist der richtige Zeitpunkt Rehepferde wieder in die Nutzung zu nehmen?

Dieser Zeitpunkt ist recht verschieden und man kann mit Sicherheit keinen verbindlichen Zeitraum benennen, nach dem die Arbeit mit Rehepferden wieder aufgenommen werden kann. Bei manchem Pferd ist dies nach drei Monaten der Fall, bei anderen nach einem halben Jahr. Barhufige Rehepferde[14] zeigen diesen Zeitpunkt an und für sich recht deutlich, indem sie auch auf härteren Böden zunehmend unempfindlich werden. Ich halte die Pferdebesitzer dazu an, dann vorsichtig mit der Arbeit zu beginnen und die Laufqualität kritisch im Auge zu behalten. Bei beschlagenen Pferden ist die Sache schwerer einzuschätzen.

Wenn die Bewegung des Pferdes zum unabdingbaren Therapieprogramm gehört – wie bei übergewichtigen Pferden mit Equinem Metabolischem Syndrom – dann sollte diese evtl. schon sehr frühzeitig wieder aufgenommene therapeutische Bewegung auf weichen Böden erfolgen. Sind Geländespaziergänge Teil des Bewegungsprogrammes, so sollte so lange ein temporärer Hufschutz (Hufschuhe) angelegt werden, wie das Pferd auf den Wegstrecken noch immer empfindlich ist.

2.3 Barhuf auch bei irreparablen Hufreheschäden?

Das kommt darauf an. Für die Sanierung oder auch nur das „In-Form-Halten“ dieser Hufe (= Schadensbegrenzung) gilt das bereits Gesagte: Abrieb ist ein Freund und starke Korrekturen sind der Feind. Insofern ist der Barhuf auch hier von Vorteil. Allerdings gibt es durchaus Fälle, wo eine Schmerzminderung wirklich nur über einen permanenten Hufschutz erreicht werden kann. Ich glaube allerdings, dass diese Fälle weit seltener sind, als allgemein angenommen wird und dass sich das zeigen würde, wenn man nicht allzu häufig den Fehler begehen würde, diese reheverbildeten Hufe einer Normalhufsituation annähern zu wollen.

Wenn irreparable Veränderungen am Hufbeinrand, der Kronlederhaut, der Wandlederhaut oder an der Sohlenlederhaut der Hufbeinspitze zu einer dauerhaft veränderten Wachstumsrichtung der Hornstrukturen führen, dann nimmt der Huf eine endgültige Rehegestalt ein. Diese weicht zum Teil beträchtlich vom gewohnten Bild eines Pferdehufes ab. Dennoch kann der Hufbearbeiter nichts Besseres tun, als die veränderten Verhältnisse zu akzeptieren. Tut er dies nicht, weil er mit Blick auf eine normale Hufphysiologie meint, der Rehehuf könne doch auch von kürzeren Trachten,[15] einer annähernd gestreckten, weniger schrägen Zehenwand oder einem zurückgesetzten Abrollpunkt profitieren, dann schlägt das in der Regel gegen den Komfort des Rehehufes aus.

3 Schlusswort

Als Huforthopädin werde ich oft dann gerufen, wenn die akute Rehephase längst vergangen und die Hufe bereits deutlich von der Hufrehe gezeichnet sind. Ich treffe dabei leider auch immer wieder auf Hufe, die von Anbeginn der Rehe an zwar intensiv und nach allen Regeln der Kunst betreut worden sind, dennoch aber schwere Schäden aufweisen. Vergleiche ich diese gut betreuten und von Anfang an auch hufbearbeiterisch versorgten Hufe mit Hufen von Pferden, die in und nach ihrem Reheereignis unbetreut blieben und i.e. vernachlässigt wurden, so stehen erstere in ihren Schädigungen hinter den letzteren oftmals leider nicht zurück. Manchmal sind die Schäden am Huf der ersteren sogar schwerer und die Chance auf eine Wiederherstellung einer Normalhufsituation noch geringer. Woran liegt das? Meiner Meinung nach ist das zum Teil dem Umstand geschuldet, dass den für die Reparatur der Reheschäden notwendigen Eigenleistungen des Hufes nach einer Hufrehe nicht genügend Respekt gezollt wird. Die aktuell veränderte Situation im Huf, die Reaktion des nachwachsenden Hornes auf diese veränderte Situation und die Kompensationsleistung des Pferdes werden als Fehlentwicklungen betrachtet und die orthopädischen Maßnahmen richten sich auf deren sofortige Beseitigung. Aus meiner Sicht erschwert ein solches Vorgehen aber das „Herauswachsen der Hufrehe“, anstatt es, wie eigentlich doch beabsichtigt, zu befördern.

Literatur

ARNOLD, A. (2017): Individuelle Unterschiede in der Histopathologie der Hufrehe und Konsequenzen für die Praxis am Huf, In: 11. Huftagung der DHG e.V. für Tierärzte und Hufbearbeiter, Leipzig 10./11. Juni 2017, Tagungsband, S. 40-50.

BUCHNER, H.H.F., (2008): Unterstützende Therapie am Huf bei der Hufrehe: Biomechanische Prinzipien und Validierung von orthopädischen Maßnahmen am Huf, In: Internationales Hufrehesymposium vom 11.-13. November 2008 an der FU Berlin, keine Seitenangaben, Berlin.

BUDRAS, K.-D.; HIRSCHBERG, R-; HINTERHOFER, C. (2008): Hufrehe - Strukturelle Grundlagen und Therapie, In: Der Praktische Tierarzt, Suppl. 6, S. 13-21.

CZECH, C. (2006): Die digitale Phlebographie des an Hufrehe erkrankten Pferdes, Diss., Ludwig-Maximilians-Universität München.

DOHNE, W. (1991) Biokinetische Untersuchungen am Huf des Pferdes mittels eines Meßkraftschuhes, Diss., Tierärztliche Hochschule Hannover.

GLÖCKNER, S. (2002): Eine retrospektive Studie über die Hufrehe bei Pferden; dargestellt an den Patienten der Klinik für Pferde, Allgemeine Chirurgie und Radiologie der Freien Universität Berlin aus den Jahren 1976-1995, Berlin, Freie Universität, Diss.

HAMPSON, B. (2017): Foot pathology on feral horses (Australian Brumbies and Hungarian Przewalskis) - caused by traumatic laminitis or hyperinsulinemia? In: 11. Huftagung der DHG e.V. für Tierärzte und Hufbearbeiter, Leipzig 10./11. Juni 2017, Tagungsband, S. 86-88.

HARDEMAn, L.C.; van der MEIJ, B.R.; BACK, W.; van der KOLK, J.H.; WIJNBERG, I.D. (2015): The Use of Electromyography Including Interference Pattern Analysis to Determine Muscle Force of the Deep Digital Flexor Muscle in Case of Equine Laminitis, In: Equine Vet J, vol. 47: 16. doi:10.1111/evj.12486_36

KLUNDER, P. (2000): Physikalische Auswirkung der Trachtenhochstellung am Huf des Pferdes, Diss., Freie Universität Berlin.

LINGENS, I. (2008): Die Entwicklung der Hufpflege und des Hufbeschlags von der Antike bis zur Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des Hufbeschlags bei der Hufrehe, Diss., Freie Universität Berlin.

PATAN, B.; BUDRAS, K.-D. (2003): Segmentspezifitäten am Pferdehuf. Teil 2 – Zusammenhang zwischen Hornstruktur und mechanisch-physikalischen Horneigenschaften in den verschiedenen Hufsegmenten, In: Pferdeheilkunde, Heft 1, S. 177-184, Stuttgart.

PAUL, N. (2017): Der metabolische Hufrehepatient - Verursacht Insulin eine Überproliferation der Hornkapsel?, In: 11. Huftagung der DHG e.V. für Tierärzte und Hufbearbeiter, Leipzig 10./11. Juni 2017, Tagungsband, S. 80-84.

POLLITT, C. C. (2008): Equine Laminitis Current Concepts, RIRDC, Canberra.

RASCH, K. (2010a): Blutegeltherapie bei Hufrehe der Pferde - Ergebnisse einer bundesweiten Studie, In: Zeitschrift für Ganzheitliche Tiermedizin, Nr.1, 24-29.

RASCH, K. (2010b): Diagnose Hufrehe, Stuttgart.

VAN EPS, A. W.; POLLITT, C. C. (2009): Equine laminitis model: Cryotherapy reduces the severity of lesions evaluated seven days after induction with oligofructose, In: Equine Vet J, vol. 41, S.741-746.

 

Anhang: Barhufsanierung mäßig und stark geschädigter Rehehufe - Beispiele

Shirestute, vorn rechts: chronische Rehehufe (betroffen beide Vorderhufe)

Zeitraum zwischen Vorher- und Nachher-Bildern: 16 Monate

Ponystute, vorn rechts (siehe auch Abb. 11): chronische Rehehufe (betroffen alle vier Hufe)

Zeitraum zwischen Vorher und Nachher Bildern – 2,5 Jahre

Warmblutstute, Vorderhufe, 1. Reheschub, EMS und Cortison (betroffen: alle vier Hufe)

Zeitraum zwischen Vorher und Nachher Bildern – 1 Jahr

Rechter (frontal) und linker Vorderhuf (seitlich fotografiert) jeweils vor Bearbeitung    

Warmblutstute, vorn links und vorn rechts: 2. Reheschub (betroffen: alle vier Hufe)

Zeitraum zwischen Vorher und Nachher Bildern – 6 bzw. 8 Monate

Sohlenansicht des rechten Vorderhufs jeweils nach Bearbeitung, linker Vorderhuf seitlich jeweils vor Bearbeitung

Ponywallach, Vorderhufe: chronische Rehehufe (betroffen: alle vier Hufe)

Zeitraum zwischen Vorher und Nachher Bildern – 1 Jahr

Beide Vorderhufe und rechter Vorderhuf jeweils nach Bearbeitung

Kleinpferdewallach, vorn links und vorn rechts: 1. Reheschub (betroffen: alle vier Hufe)

Zeitraum zwischen Vorher und Nachher Bildern – 1 Jahr

Rechter und linker Vorderhuf jeweils vor Bearbeitung

Ponystute, hinten links und rechts: chronische Rehehufe (betroffen: alle vier Hufe)

Zeitraum zwischen Vorher und Nachher Bildern – 11 Monate

Linker Hinterhuf jeweils vor Bearbeitung, rechter Hinterhuf jeweils nach Bearbeitung

Kleinpferdstute vorn links: chronische Rehehufe (betroffen: alle vier Hufe)

Entwicklung des Hufes ... nach 1,5 Jahren ... nach 2,5 Jahren ... nach 4 Jahren

  • Das kann im Weiteren immer mit gedacht werden, auch wenn ich letzteren nicht mehr explizit erwähne.
  • Und auch ohne einen expliziten, neuen Reheschub führt die Stoffwechsellage in solchen Fällen zu einer unterschwelligen „Reheproblematik“ siehe auch HAMPSON (2017: 86ff.) und PAUL (2017: 80ff.) hier im Band.
  • Optimale Haltungsbedingungen heißt, dem Rehepferd stehen zunächst einmal ausreichend weiche Bodenbedingungen und ruhige Verhältnisse zur Verfügung, in denen keine erzwungene Bewegung durch Artgenossen oder durch das Haltungsmanagement erfolgt. Sandige Ausläufe sind optimal und können auch gern kombiniert sein mit ebenen harten Flächen. Letztere werden in der Regel gut vertragen, wenn das Pferd die Freiheit hat, diese zu betreten und zu verlassen und dabei im Schritt zu bleiben. Sie sind zudem dem Abrieb sehr förderlich, den die Rehehufe benötigen, um ihrer Form leichter entwachsen zu können.
  • Bereits nach 4 Stunden hat das Blättchenhorn die Hälfte seines gespeicherten Wassers verloren. (PATAN; BUDRAS 2003: 180)
  • Jeder Hufbearbeiter, der einmal versucht hat, dieses Horn mit der Raspel oder gar mit dem Messer zu bearbeiten, weiß um dessen steinharte Beschaffenheit.
  • siehe hierzu auch die Ergebnisse von HARDEMAN et al. 2005
  • Hierzu gehören aus meiner Sicht neben der Behandlung der Reheursachen, die „Boxenruhe“, die Kryotherapie (VAN EPS; POLLITT 2009) und die Blutegeltherapie (RASCH 2010a).
  • In verschiedenen Untersuchungen wurden biokinetische Messungen zur Auswirkung von Keilen auf die Lastverteilung am Huf durchgeführt. Sie führten zu ganz widersprüchlichen Ergebnissen. (DOHNE 1991, KLUNDER 2000, BUCHNER 2008) Meines Erachtens verdanken sich die unterschiedlichen Ergebnisse der Tatsache, dass keine dieser Untersuchungen die konkrete Hufsituation berücksichtigt und in die Betrachtung einbezogen hat. Dabei ist deren Auswirkung auf den Effekt des Aufkeilens nicht unerheblich und könnte womöglich erklären, weshalb die Lastverteilung und Krafteinwirkung im einen Fall so und im anderen Fall ganz anders ausfällt.
  • Die „künstliche“ Steilstellung des Hufbeines vermindert in jedem Fall den Zug der TBS, was im übrigen als „natürlicher“ Prozess, sprich, wenn das Pferd seine Hufbeine sukzessive schmerzbedingt steiler stellt, meist auf mangelnde Akzeptanz stößt und durch Trachtenkürzen korrigiert wird.
  • bspw. Glöckner (2002) und Czech (2006)
  • Zum Zusammenhang zwischen einer solchen Bearbeitung und der Hufrehegefährdung siehe RASCH (2010b: S. 62ff. und 130ff.)
  • "Palmar rotation of the distal phalanx relative to the dorsal hoof wall was not detected in any radiograph." (VAN EPS; POLLITT 2009: 744)
  • Eine Ausnahme bilden Hufe, die aus einem (in dem Fall leichten) Reheschub auch einmal völlig unbeschadet hervorgehen können.
  • Natürlich kommt es auch auf die Art der Arbeit mit dem Pferd an und ob diese etwas Rücksichtnahme auf die noch nicht völlig wiederhergestellten Hufe zulässt.
  • CZECH verweist mit MORRISON (2005) darauf, „dass sämtliche stabilisierende Haltestrukturen des Hufgelenks, wie Gelenkkapsel, Seitenbänder, Sesambeinbänder bei längerfristig chronischen Rehepatienten durch bindegewebige Indurationen in ihrer Flexibilität eingeschränkt sind“. (CZECH 2006: 100) Ein Grund mehr, die Trachten dieser Hufe in ihrer manchmal auch extremen Höhe zu belassen.

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