Endokrinopathische Hufrehe im huforthopädischen Alltag – Praktischer Erfahrungsschatz und offene Fragen
von Dr. Konstanze Rasch
1 Problemaufriss
Als Hufbearbeiter sind wir in der Regel nicht die ersten am Pferd, wenn eine Hufrehe auftritt. Aber wir sind diejenigen, die in der Folge am längsten und intensivsten mit den Rehepferden und ihren Hufen zu tun haben. Und wir sind auch diejenigen, die oft schon vorher mit den Rehepferden (in spe) zu tun haben und absehen können, was passieren wird. Wir sind deshalb auch die, die den Besitzer oft schon Monate bis Jahre warnen und nicht müde werden, anzumahnen, dass Futter- und Haltungspraktiken geändert werden müssen. Und wir sind schlussendlich diejenigen, die es dann mit „ausbaden“ müssen, wenn die Warnungen nicht ernst genommen wurden und die Hufe durch die Hufreheerkrankung gelitten haben. Es liegt dann zum Großteil in unserer Hand, die mitunter schwer geschädigten Hufe wieder zu sanieren.
Wir sind wirklich schmerzlich dicht dran am Thema Hufrehe und die Fälle sind heutzutage aus unserer Sicht keine solchen Einzelschicksale mehr, wie das früher der Fall war. Wir sind gegenwärtig mehr oder weniger mit einem Massenphänomen konfrontiert. Gefühlt ist mittlerweile jedes zweite bis dritte Pferd im Freizeitbereich hufrehegefährdet. Aber auch die Sportpferde ziehen nach.
Einer britischen Studie aus dem Jahr 2018 zufolge erleidet jedes zehnte Pferd zumindest einmal im Jahr einen Hufreheschub [1]. Andere Studien weisen eine noch größere Häufigkeit von 15 % aus (Ireland et al. 2013, Potter et al. 2017). Letzteren zufolge ist somit annähernd jedes sechste Pferd in seinem Leben mindestens einmal von Hufrehe betroffen. Blickt man auf Ponys und nimmt zudem noch die jüngeren Ponys < 9 Jahren aus der Betrachtung, steigt die Prävalenz für Hufrehe sogar auf annähernd 20 % (Lykkjen et al. 2023). Die norwegische Studie aus dem vergangenen Jahr untersuchte Ponys der Rasse Norweger. Sie gehören zu den robusten Pony- und Kleinpferderassen, die von Hufrehe insgesamt deutlich häufiger betroffen sind als Großpferde. Ponys stellen ca. drei Viertel der Hufrehepopulation (Ireland et al. 2013) und bilden letztlich auch den größten Teil unserer Rehekundschaft.
2 Hufrehe früher und heute – Was hat sich geändert?
Früher war die Hufrehe im Verhältnis ein eher seltenes Ereignis. Es gab die klassische Futterrehe im Frühjahr beim Anweiden, die Rehe durch Vergiftung, Nachgeburtsverhaltung oder andere außergewöhnliche Umstände, es gab die Belastungsrehe/Marschrehe und es gab auch schon immer die chronischen Reheponys, die ihren Sommer jedes Jahr mehr oder weniger lahm auf der Weide verbringen durften. Im Unterschied zu heute waren diese Hufrehen jedoch singuläre Ereignisse, von denen das ein oder andere Pferd tragischerweise betroffen war. Heute hat man das Gefühl von Hufrehefällen umgeben zu sein. Rehepferde und Pferde die auf eine Hufrehe zusteuern, stellen einen beträchtlichen Teil unserer Klientel dar. Diese Entwicklung steht im direkten und offensichtlichen Zusammenhang mit der massiven Zunahme von übergewichtigen Pferden in den letzten 20-30 Jahren. Vor 15 Jahren gab es hieran noch Zweifel:
„Epidemiologische Studien in Nordamerika und Europa belegen eine signifikante Zunahme der Adipositas beim Menschen über die letzten 20 Jahre. Inwieweit auch beim Pferd, vor allem beim Pony, eine solche Entwicklung zu beobachten ist, darüber kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden.“ (VERVUERT 2008).
Mittlerweile gilt dieses Faktum als gesichert: „the rise in equine obesity parallels the human obesity epidemic“ (Sundra et al. 2023).
Wie beim Menschen liegen die Gründe hierfür in erster Linie in einem Überangebot an Nahrung gepaart mit körperlicher Inaktivität und in zweiter Linie an der Art der Nahrung, die das Pferd wie der Mensch heute zu sich nimmt. Haben Pferde früher von Gras, Heu, Stroh, Hafer und Rüben gelebt, bietet der in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsene Futtermittelmarkt heutzutage eine unüberschaubare Zahl verschiedenster Fertigfutter, die das Pferdebesitzerherz erfreuen, aber auch dazu geeignet sind, das Pferd krank zu machen. Energiereiche und zuckerhaltige Fabrikfutter sind mittlerweile ein selbstverständlicher Bestandteil in der Pferdefütterung. Problematisch ist dabei nicht nur das Überangebot an Energie, sondern auch in welcher Form diese zur Verfügung gestellt wird. Zusatzstoffe, industrielle Hilfsstoffe, riskante Resteverwertung, hochverarbeitete Zutaten sind Stichworte, die nicht nur die Gefahren der Lebensmittelindustrie für den menschlichen Konsum kennzeichnen, sondern gleichermaßen auf die moderne Pferdefütterung zutreffen. Stiftung Warentest fasst es für den Humansektor kurz und bündig zusammen: „Zuviel vom Band macht krank“ (Stiftung Warentest 2024).
Hinzu kommt die heute beim Pferd übliche beständige „spekulative Überversorgung mit Mineralstoffen und Vitaminen“ (Coenen 2010: 15), wobei letztere zumal kaum noch natürlichen Ursprungs sind. Dies alles birgt die Gefahr von Stoffwechselerkrankungen, weil „überschüssige Nährstoffe Transportsysteme blockieren und Entsorgungssysteme einfordern“ (ebenda), und es liefert aus meiner Sicht einen Grund für das aktuell vorfindliche Massenphänomen der Stoffwechselstörungen beim Pferd. Die Art der Hufrehe, mit der wir heute in den allermeisten Fällen konfrontiert sind, basiert auf einem schon längere Zeit erkrankten Insulinstoffwechsel. Die Form der Hufrehe hat sich aus diesem Grund verändert. Die meisten der aktuell an Hufrehe leidenden Pferde haben ein latentes Rehegeschehen, welches irgendwann dann auch in einem aktuten Reheschub mündet Der eigentliche Reheschub ist in diesen Fällen lediglich die Spitze eines sehr großen Eisbergs.
3 Die hormonell bedingte Hufrehe – Hauptform heutiger Hufreheerkrankungen
Ca. 90 % aller heutzutage auftretenden Hufreheerkrankungen sind endokrinopathische Hufrehen, werden also durch hormonelle Störungen verursacht (Donaldson 2004, Karikoski 2011, Patterson-Kane et. al 2018, Marcato/Perillo 2020). Man kann ziemlich sicher davon ausgehen, dass es diese Form der Hufrehe auch schon früher gab, allerdings nicht in derselben Häufigkeit.
Das Vorliegen einer Störung im Insulinstoffwechsel des Pferdes wurde erstmals in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die Pathogenese der Hufrehe einbezogen. In einer Studie wurde bei sechs Hufrehe-Ponys im Vergleich zu sechs gesunden Kontroll-Ponys im Insulintoleranztest eine Glukoseintoleranz und eine verminderte Insulinsensitivität festgestellt. (Coffman/Colles 1983). Es brauchte hiernach noch einmal zwei Jahrzehnte bis sich der Blick der Forschung vermehrt auf diese wichtige Entdeckung richtete. Hierfür spielte die in diesen Jahren stark wachsende Prävalenz hormonell bedingter Hufrehen sicher eine entscheidende Rolle. Die erste Studie, die spezifische Indikatoren für Insulinresistenz auf Pferde angewendet hat, um Informationen für ein datenbasiertes Equines metabolisches Syndrom zu entwickeln, wurde 2004 in den USA durchgeführt. In dieser Studie wiesen Treiber et al. in einer Kohortenstudie erstmals nach, dass Ponys, die für weideassoziierte Hufrehe prädisponiert sind, einen deutlich höheren Insulinspiegel aufweisen, als Ponys ohne Hufrehe. Im Ergebnis der Studie konnte man aufzeigen, dass momentan scheinbar gesunde Ponys (März 2004) eine kompensierte Insulinresistenz besitzen können, die eine Prädisposition für eine folgende Hufreheerkrankung (Mai 2004) darstellt. (Treiber et al. 2006)
In experimentellen Studien gelang es wenig später nachzuweisen, dass Insulin in hoher Dosierung auch bei gesunden Ponys (Asplin 2007) und Pferden (deLaat et al. 2010) zielsicher Hufrehe auslöst. Damit wurde der direkte Zusammenhang von Hyperinsulinämie und Hufrehe beim Pferd bewiesen.
Ebenfalls in den 1980er Jahren entstand ein weiterer endokrinologischer Forschungszweig in der Pferdemedizin. Dieser richtete sich auf eine beim Pferd zuweilen beobachtete Hypophysenstörung. Erstmals beschrieben wurde das Hypophysenadenom beim Pferd im Jahr 1932 von Pallaske. Später erhielt die Krankheit den Namen Equines Cushing Syndrom (ECS), in Anlehnung an ein für den Menschen bereits beschriebenes ähnliches Krankheitsbild. Auch diese Forschung intensivierte sich mit dem Beginn der 2000er Jahre und im Lichte neuer Erkenntnisse erfolgte eine Umbenennung von ECS in PPID (Pituitary Pars Intermedia Dysfunction). Die beiden Erkrankungen sind in Tab. 1 kurz gegenübergestellt. Sie ähneln sich, weisen aber auch Unterschiede auf, die beim Pferd bis heute noch nicht gänzlich verstanden sind.
Pferd => PPID | Mensch => Cushing |
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Auch für PPID kann man in der Gegenwart eine Zunahme der diagnostizierten Fälle beobachten. Einige epidemiologische Fakten hierzu:
- Erwähnung in Lehrbüchern und Einzelfallberichte in den 1970er und 1980er Jahren.
- Ein niederländisches Krankenhaus meldet Anfang der 1990er Jahre 0,5 % PPID-Fälle.
- Eine im Jahr 2012 veröffentlichte retrospektive Kohortenstudie konstatierte für die Jahre 1993 bis 2002 einen Anstieg um das Fünfzehnfache (0,25/1000 = 0,025 % auf 3,72/1000 = 0,37 %) (Rohrbach et al. 2012).
- In einer kleineren dänischen (Christiansen 2009) und einer größeren australischen Studie (McGowan et al. 2013) lag die Prävalenz von PPID bei Pferden und Ponys im Alter von ≥ 15 Jahren bei 21 % (Ireland/McGowan 2018: 32).
- 2016 ergaben über 11 Jahre gesammelte Sektionsergebnisse bei Pferden > 15 Jahren, dass unabhängig von der Todesursache 27 % der verstorbenen Pferde PPID hatten, d.h. es wurden Hyperplasien, Hypertrophien oder Adenome der Hypophyse pars intermedia gefunden (Miller et al. 2016).
- Ebenfalls in 2016 befragte man eine große Population von Pferdebesitzern in Großbritannien. In der Online-Umfrage wurde bei insgesamt 16.751 eine PPID-Häufigkeit von 6,6 % erfasst. Allerdings wurden hier alle Altersgruppen einbezogen und die Population bestand zu mehr als zwei Dritteln aus Pferden bis 16 Jahren. (NEHS 2016)
Aktuell liegt die geschätzte Häufigkeit von PPID bei Pferden ab 15 Jahren zwischen 21 % und 27 % (Menzies-Gow et al. 2024: 19), d.h. man kann prognostisch sagen, dass jedes vierte bis fünfte Pferd, welches ein Lebensalter von 15 Jahren erreicht, an PPID erkranken wird.
Handelt es sich um einen tatsächlichen Anstieg oder verdankt sich die zu beobachtende Zunahme allein der verlängerten Lebensdauer von Pferden sowie der modernen Diagnostik? Diese Frage wird gegenwärtig von der Veterinärmedizin fast ausschließlich mit letzterem beantwortet: Das Pferd wird heute älter und mit den besseren diagnostischen Möglichkeiten werden auch natürlich mehr Fälle erhoben.[2]
Die eigene Beobachtung lässt mich dagegen plädieren und – wissend um die verbesserten Möglichkeiten der Diagnose und die gestiegene Lebenserwartung der Pferde – darum bitten, den realen Anstieg nicht zu übersehen.
Mein erstes Kundenpferd bei dem damals noch Equines Cushing diagnostiziert wurde, betreute ich in 2005. Es war auch die erste derartige Diagnose des betreuenden Tierarztes. Die Ponystute blieb jahrelang die einzige und auch meine Kollegen kannten die Erkrankung, wenn überhaupt nur von Einzelfällen. Das sieht heute ganz anders aus. In ähnlicher Weise wie die hyperinsulinämisch geprägte Hufrehe hat auch die PPID-Population in unserer Kundschaft dramatisch zugenommen.
Angesichts der neu gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse und unter Kenntnisnahme der gestiegenen Inzidenz endokrinopatischer Hufrehe in der Pferdepopulation vollzog sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel im wissenschaftlichen Verständnis der Hufrehe (Patterson-Kane 2018). Neben die früheren Erklärungsmodelle für Hufrehe, die nach wie vor ihre Berechtigung behalten, tritt das Modell der hyperinsulinämisch assoziierten Hufrehe. Hufrehe in Verbindung mit einer endokrinen Grunderkrankung ist die vorherrschende Form der Hufreheerkrankung in der Gegenwart. Und sie sollte deshalb nicht mehr nur als singuläres Ereignis wahrgenommen werden, sondern der Fokus muss, sowohl in der Forschung als auch in der Therapie, auf die Hufrehe als ein latentes Geschehen gerichtet werden.
4 Der entscheidende Hufrehe-Faktor – Normaler oder dysregulierter Insulinstoffwechsel
Seit jeher ist bekannt, dass die Weidesaison für Pferde ein besonderes Risiko für Hufrehe mit sich bringt. Wurde dies früher mit den Modellen der Eiweiß- oder Kohlenhydratüberladung erklärt, weiß man heute, dass die weidebedingte Hufrehe in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch eine hyperinsulinämische Stoffwechsellage verursacht wird. Letzteres ist der Grund, weshalb manche Pferde einer Herde erkranken und andere die Weidesaison völlig unbeschadet überstehen. Die Ursache liegt im dysregulierten Insulinstoffwechsel der erkrankten Pferde. Insulindysregulation (ID) ist der Schlüsselfaktor, der sowohl EMS als auch PPID mit Hufrehe verbindet. Die Insulindysregulation wird definiert als eine Kombination aus zellulärer Insulinresistenz, Hyperinsulinämie im Nüchternzustand, exzessiver postprandialer Hyperinsulinämie und verzögerter Insulin-Clearance – wobei nicht jeder dieser Faktoren vorliegen muss (Byrne 2018: 15). Die zelluläre Insulinresistenz, als ein mögliches Moment der Insulindysregulation, bezeichnet die herabgesetzte Fähigkeit der glukoseabhängigen Zellen, die im Blut zirkulierende Glukose aufzunehmen und führt zu einer Stimulation der Betazellen der Bauchspeicheldrüse und damit zu einer erhöhten Insulinsekretion.
Der insulindysregulierte Stoffwechsel reagiert deshalb auf das Gras der Weide mit einem übermäßig hohen Insulinspiegel, worauf Hufrehe folgt. Der Ausbruch von Hufrehe wird mit einem Plasmainsulinspiegel von > 100 μIU/ml in Verbindung gebracht (Walsh et al. 2009). Dieser Spiegel wird unter der Bedingung eines gestörten Insulinstoffwechsels schnell erreicht, wenn vom betreffenden Pferd mit dem Gras leichtverdauliche Kohlenhydrate aufgenommen werden. Die Höhe des Insulinspiegels korreliert mit der Schwere der Hufreheerkrankung und dem Lahmheitsgrad, d.h. um so mehr das Insulin bei einem Pferd ansteigt, um so dramatischer ist die Erkrankung und um so nachhaltiger die Schädigung seiner Hufe (de Laat et al. 2019).
Ein Drittel der endokrinopatischen Hufrehen werden derzeit auf das Vorliegen einer PPID-Erkrankung zurückgeführt. Es ist der allgemeine Eindruck entstanden, dass die PPID selbst zu Hufrehe führt. Das ist insofern falsch, als PPID-Pferde ohne Hyperinsulinämie nicht an Hufrehe erkranken. Neben der Praxis belegen das mehrere Untersuchungen: Von Karikoski wurde der endokrine Status, die Histomorphometrie und die pathologischen Läsionen von PPID-Pferden mit Hufrehe (62,5 %) und ohne Hufrehe (37,5 %) verglichen. Alle laminitischen PPID-Tiere hatten auch eine Hyperinsulinämie, während alle nicht-laminitischen PPID-Tiere normoinsulinämisch waren. Außerdem wiesen alle Tiere mit PPID und Hufrehe histologische Läsionen im Lamellenbereich auf, während die Lamellen der PPID-Tiere ohne Hufrehe ebenso wie die der gesunden Tiere der Kontrollgruppe unverändert und normal waren. (Karikoski 2016: 6) Bereits 2013 zeigten McGowan et al., dass lediglich 32 % der Pferde mit einer ACTH-Wert-basierten PPID-Diagnose gleichzeitig auch eine Hyperinsulinämie aufwiesen (ebenda: Chapter6/48) In 2015 wurden in einer Untersuchung Pferdesenioren gleichen Alters mit und ohne PPID auf ihre Insulinsensitivität hin untersucht. Im Ergebnis zeigte sich kein Unterschied in der Insulinempfindlichkeit zwischen beiden Gruppen. (Mastro et al. 2015)[3]
Man muss also festhalten, es gibt neben der PPID-Erkrankung in einem Drittel der Fälle eine zweite, nebenstehende (und davon unabhängige?) Stoffwechselanomalie, die ursächlich ist für die Entstehung von Hufrehe. Die entscheidende Stoffwechsellage, die zur endokrinopathischen Hufrehe führt, ist die Insulindysregulation.
Die heute verbreitete Betrachtung von PPID als endokrine Grunderkrankung und Ursache von Hufrehe führt insofern in die Irre, als bei der Therapie in der Folge häufig falsche Prioritäten gesetzt werden, was Misserfolge zur Konsequenz hat. Ich werde später noch einmal darauf zurückkommen.
Zum einen zeigen die Daten, dass PPID und ID unabhängig voneinander vorkommen. Zum anderen kann man aber auch konstatieren, dass beide sehr häufig zusammen auftreten. Letzteres hat vermutlich dazu geführt, dass man bemüht war, den Grund für die ID im Vorliegen einer PPID-Grunderkrankung zu suchen.
So wurde vermutet, dass Insulinresistenz und Hyperinsulinämie bei PPID-Pferden als Folge der unkontrollierten Freisetzung von ACTH und verwandten Hypophysenpeptiden aus der Hypophyse und der daraus resultierenden antagonistischen Wirkung von Cortisol auf Insulin auftritt (Karikoski 2016: Chapter 6/49). Wäre das so, müssten jedoch alle Pferde mit PPID eine Beeinträchtigung der Insulinempfindlichkeit aufweisen und das ist nicht der Fall. Wenn die Hyperinsulinämie aufgrund der PPID-bedingten Hormonausschüttung auftritt, müsste man außerdem davon ausgehen, dass die PPID-Pferde ohne klinische Hufrehe zumindest frühe und leichte histologische Veränderungen in ihrem Hufbeinträger aufweisen. Das trifft aber ebenfalls nicht zu. (ebenda)
Für das häufige Zusammentreffen von PPID und ID fehlen bislang schlüssige Erklärungen, was zur Konsequenz hat, das nicht geklärt ist, weshalb auch PPID-Pferde zum Teil hufrehegefährdet sind.
Die aus meiner Sicht naheliegendste Erklärung für den Zusammenhang von PPID mit hyperinsulinämischer Hufrehe ist eine genau umgekehrte. Pferde, die im Laufe ihres Lebens einen insulindysregulierten Stoffwechsel entwickeln und latent oder klinisch unter Hufrehe leiden, sind prädisponiert mit zunehmendem Alter – d.h. mit dem Andauern der ungünstigen Stoffwechsellage – eine PPID zu entwickeln.
Für diese These sprechen die folgenden beiden Dinge:
- Viele PPID-Pferde haben bereits eine Rehehistorie hinter sich und in vielen Fällen werden die Tiere von ihren Besitzern als früher eher leichtfuttrig beschrieben.
- Die PPID ist gekennzeichnet durch Veränderungen der Pars intermedia der Hypophyse, die nach aktuellem Wissensstand durch den Wegfall dopaminerger Neuronen im Hypothalamus ausgelöst werden. Es wird vermutet, dass chronischer oxidativer Stress hierfür verantwortlich ist. Oxidativer Stress und die Ansammlung abnorm gefalteter Proteine (α-Synuclein) können bei Menschen zu Zytotoxizität führen und werden für die anschließende Degeneration dopaminerger Neuronen und die Parkinson-Erkrankung verantwortlich gemacht. (Recknagel 2017, Kirkwood 2022) Chronische Hyperglykämie und Hyperinsulinämie, wie sie bei ID-Pferden zu beobachten ist, könnte über die Zeit zur Beeinträchtigung von Dopamintransportern und zur Degeneration dopaminerger Neuronen führen (Li et al. 2023: 2) [4][5]
5 Unsere Praxiserfahrungen mit hormonell bedingter Hufrehe
Wie eingangs gesagt, machen Pferde mit dieser Problematik einen nicht geringen Teil unserer Kundschaft aus. Das sind zum einen die, die wir mit chronischen Hufrehefüßen übernehmen. Andere begleiten wir durch ihre Hufrehe(n) hindurch. Wieder andere lernen wir als gesunde Pferde kennen (das sind in der Regel noch junge Pferde) und erleben dann mit, wie sie ihren Weg Richtung Hufrehe gehen. Im letzteren Fall übernimmt man die Pflege von Hufen, die vielleicht andere Baustellen haben, aber eben noch nicht durch eine Rehe gezeichnet sind. Man betreut die Hufe über Monate und Jahre und bemerkt plötzlich beim Bearbeitungstermin Veränderungen, die man als prälaminitische Hufveränderungen kennt. Näheres zu diesen Veränderungen im entsprechenden Abschnitt. Vielleicht hat man auch schon vorher registriert, dass das ehemals schlanke Jungpferd oder der ausgemusterte muskulöse Sportler einige Pfunde zugelegt hat und über die Jahre einen sehr prägnanten Hals bekommen hat. Vielleicht war das Pferd oder Pony aber auch schon immer etwas rundlich, aber es war eben noch jung und jetzt ist es das nicht mehr. Da wir die Zeichen zu deuten wissen, weisen wir den Pferdebesitzer darauf hin, erläutern die Gefahren, bitten um die notwendigen Änderungen in der Fütterungs- und Haltungspraktik. Die Antwort des Pferdebesitzers ist so häufig wie verständlich: „Aber wie soll ich das denn machen?“ Es gibt fast immer „unüberwindbare“ Hindernisse – der Stallbetreiber macht das so nicht, der eingerichtete Arbeitsalltag im Pensionsstall lässt das nicht zu, mein Pferd kann doch nicht alleine drinbleiben, das ist doch kein Pferdeleben ohne Gras, wo soll ich denn das andere Heu herbekommen, ich muss den ganzen Tag arbeiten, wo soll ich denn die Zeit hernehmen, wir bewegen ihn doch schon dreimal die Woche (Bodenarbeit), ...
Man pflegt die Hufe also weiterhin und sieht hier auch die weiter bestehende Gefährdung, man weist Mal für Mal nachdrücklich darauf hin. Der Pferdebesitzer ist von den ständigen Ermahnungen genervt, „aber er hat doch schon abgenommen“. Die Gefährdungslage hält an, hat dabei durchaus ihre Konjunkturen, mal entspannt sich die Situation, man lobt, dann gibt’s wieder Verschlechterungen ...
Irgendwann folgt dann fast immer der erste Warnschuss. Die Hufrehe manifestiert sich klinisch und wird nun auch als Hufrehe wahrgenommen. Meist ist dieser erste Hufreheschub moderat und kann gut überwunden werden. Der Schaden an den Hufen bleibt meist überschaubar.
Nun ist die Frage, ist das Erschrecken beim Pferdebesitzer ausreichend groß und er kommt daraufhin ins Handeln? Das ist wie gesagt ja nicht immer leicht und die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen kostet mitunter einiges an Aufwand. Ein passender Stall muss gefunden werden, passendes Heu, passende Mitpferde, ausreichend Bewegung muss gewährleistet werden ...
Zu häufig reagieren die Pferdebesitzer halbherzig und mitunter werden die Änderungen im Futter- und Bewegungsmanagement nur vorübergehend umgesetzt und dann beginnt der ganze Kreislauf aus an- und abschwellender Gefährdungslage gefolgt von Warnungen und Ratschlägen unsererseits von vorn und irgendwann folgt der zweite Reheschub, dann der dritte und so fort. Mittlerweile hat sich der Stoffwechsel in einer ausgeprägten Insulindyregulation eingerichtet. Es sind Schäden an den Hufen vorhanden, die nicht mehr mal eben so beseitigt werden können. Die Pferde hängen im Reheschub fest. Und nun ist auch die Umsetzung aller Maßnahmen, die man schon in den Jahren vorher hätte unternehmen sollen und die man nun angesichts der dramatischen Lage wirklich unternimmt, nicht mehr ausreichend erfolgreich. Man begrenzt die Futtermenge, hängt Heunetze auf, stellt die Leckerlis ein, aber das Pferd wird nicht gesund. Es gibt auch kein Gras mehr, aber das rationierte Heu wird jetzt ebenfalls nicht mehr vertragen. Bewegung ist zunächst nicht möglich, weil das Pferd schmerzhaft vor sich hin reht. Die Hufe mit ihren Baustellen sind hierbei eher das geringere Problem. Man kann sie schützen und entsprechende Böden wählen, wenn die Pferde dennoch nicht Laufen (können), ist das ein recht eindeutiger Hinweis auf ein weiter vor sich hin schwelendes, anhaltendes Rehegeschehen. Und die Hufe spiegeln dies wider. Es gelingt nicht die Schäden herauswachsen zu lassen, da einfach beständig neue Reheschäden entstehen.
So oder ähnlich laufen die Geschichten, die wir als Hufbearbeiter miterleben. An deren Ende steht dann ein Pferd mit einem hochgradig gestörten Insulinstoffwechsel und rehegeschädigten Hufen. So der Besitzer nicht vorher früher oder später, an der einen oder anderen Stelle von der breiten bequemen Straße abgewichen ist. Das Pferd hatte das Pech, mit einem Stoffwechsel ausgestattet zu sein, der unter den Bedingungen – zu viel und falsches Futter, zu wenig körperliche Verausgabung – über kurz oder lang krank wird. Die Beobachtung lehrt uns, und mittlerweile gibt es hierfür auch wissenschaftliche Belege, dass besonders Ponys und Kleinpferde hierfür anfällig sind. Ihr Stoffwechsel ist ein anderer, sparsamerer als der von Großpferden. Dieses genetische Erbe lässt Ponys unter den gleichen Lebensbedingungen Insulinstoffwechselstörungen entwickeln, unter denen Großpferde problemlos alt werden. Natürlich gibt es Ausnahmen auf beiden Seiten, aber Ponys und Kleinpferde tragen in der Regel ein größeres Risiko. Man vermutet, dass eine genetische Veranlagung zu übermäßiger postprandialer Hyperinsulinämie besteht, die letztendlich zur insulininduzierten Hufreheerkrankung führt (BYRNE 2018; Stefaniuk-Szmukier et al. 2023). So werden im Vergleich zwischen gesunden Ponys und Pferden nach einem oralen Glukosetoleranztest 2,8-mal höhere Insulinkonzentrationen bei Ponys festgestellt (Fang 2023).
Wie geht es nun weiter mit den stoffwechselgestörten Rehepatienten und wie kann man den vorgezeichneten Weg – von einer Rehe in die nächste heftigere Rehe zu stolpern – verlassen?
Ich habe hierfür im Folgenden unsere Überlegungen und Vorschläge formuliert und werde zudem darauf eingehen, welche Dinge aus unserer Sicht dabei vermieden werden sollten.
5.1 Vorschläge für die Praxis
Wir haben gesehen, die Ursache für die endokrinopathische Hufrehe ist ein gestörter Insulinstoffwechsel. Um die Hufreheerkrankung zu beenden und weitere Hufreheepisoden zu vermeiden, ist es nötig diese Insulinstoffwechselstörung zu sanieren. Das geht über Bewegung und körperliche Anstrengung. Erwischt man den Zeitpunkt noch vor dem Auftreten der ersten Rehe, so ist die Umsetzung des notwendigen Bewegungsprogrammes in der Regel kein Problem, und auch nach dem ersten moderaten Reheschub ist Bewegung zumeist schnell wieder möglich. Sind allerdings schon schwere Schäden gesetzt, dann ist die Umsetzung eines effektiven Bewegungsmanagements oft zunächst nicht möglich.
In diesen Fällen muss man sich fürs Erste darauf konzentrieren, trotz der vorliegenden Störung keine hohe Insulinausschüttung mehr zuzulassen. Das Futter muss nach diesem Ziel gestaltet werden. Stellt sich die Frage,
Was sollen sie fressen?
Der gegenwärtige Forschungsstand legt nahe, dass Zucker und Stärke der Hauptstimulus für die Insulinfreisetzung bei Pferden ist. Das heißt, oberste Priorität hat der Umstand, dass keinerlei zucker- oder stärkereiche Kost mehr im Futtertrog landet. Den meisten Menschen ist klar, dass explizite Kraftfutter wie Hafer oder andere Arten von Getreide für Rehepferde tabu sind. Nicht bewusst ist man sich oft jedoch der Tatsache, dass auch die explizit für Rehepferde und dickleibige Ponys mit EMS oder ID beworbenen Müslis und getreidefreien Mischfutter noch immer so viel Zucker und Stärke enthalten (auch wenn der Gehalt niedriger ist als im Sportpferdemüsli), dass der erkrankte Insulinstoffwechsel unnötig belastet wird.
Selbstredend gehört der Rehepatient auch nicht auf die Koppel, auch nicht auf „nur“ überständiges Gras. Der Zuckergehalt von Gras ist nahezu immer so geartet, dass er zu einer hohen Insulinausschüttung führt und die muss in dieser Phase unbedingt vermieden werden. Leckerlis, Rüben, Gemüse, Obst haben mit ihren hohen Gehalten an Glukose und Fruktose ebenfalls nichts im Trog verloren. Und auch die heute in manchen Ställen übliche Fütterung von Heulage ist kritisch zu sehen. Heulage führt zu einer etwa doppelt so hohen maximalen Insulinausschüttung wie Heu (Carsklake et al. 2018) und sollte deshalb nicht gefüttert werden. Die optimale Nahrung für das Rehepferd ist Heu. Allerdings muss auch bei diesem ganz dringend darauf geachtet werden, dass es sich um ein zuckerarmes Heu handelt. Während man sich beim gesunden und nicht gefährdeten Pferd vielleicht auf das Aussehen und die Haptik des Heus verlassen kann, ist das im Fall der Therapie und Prophylaxe von Hufrehe ganz und gar nicht ausreichend. Kein Heu sollte ohne Futtermittelanalyse im erkrankten Pferd landen. Entscheidend für die Entscheidung über Tauglichkeit oder Nichttauglichkeit des Heus für Rehepferde ist in erster Linie der Gehalt an Einfach- und Zweifachzuckern (Glukose, Fruktose, Saccharose) und in zweiter Linie der Gehalt an Eiweiß. Die LUFA weist diese Zuckerfraktionen als „Gesamtzucker“ der Probe aus und der sollte bei einem rehegefährdeten Pferd unbedingt unter 10 % und bei einem Pferd, welches aus der Rehe erst noch herausfinden muss, unter 6 % liegen.[6] Umso ausgeprägter die Insulindysregulation des Patienten ist, umso niedriger sollte der Gesamtzuckergehalt im Heu sein. Da in den letzten drei Jahren ein Anstieg des Gesamtzuckergehaltes im Heu beobachtet wurde von durchschnittlich 9 auf 12,1 % (LUFA 2024), ist es a) sehr ratsam, sein Heu beproben zu lassen – denn der Gehalt schwankte bspw. in 2023 zwischen 4,7 und 20 % (ebenda). Und b) ist es gleichzeitig mitunter schwierig, ein Heu mit niedrigem Zuckergehalt zu bekommen. Der Gehalt an Stärke im Heu kann vernachlässigt werden, da er nur gering ausfällt. Nicht vernachlässigen sollte man allerdings den Proteingehalt im Heu. Sehr eiweißreiches Heu ist für Rehepferde nicht geeignet. Mehr dazu im entsprechenden Abschnitt.
Futter-Notbehelf
Wenn es einem nicht (auf die Schnelle) gelingt, ein geeignetes Heu zu bekommen, dann muss man sich vorübergehend behelfen und hat dafür zwei Möglichkeiten. 1. Heu einweichen 2. zertifiziert zuckerarme Heucobs füttern.
- Ein Einweichen des Heus reduziert den Zuckergehalt. Um so ausgiebiger das Heu „gebadet“ wird, um so effektiver ist auch die Zuckerreduktion (CARSLAKE et al. 2018, Glatter et al. 2021). Auch die Wassertemperatur spielt eine Rolle. Eiskaltes Wasser löst weniger Zucker als lauwarmes Wasser – daran sollte man vor allem bei kurzen Einweichzeiten denken. Den erreichten Effekt kann man prüfen, indem man das eingeweichte Heu erneut beproben lässt.[7] So kann man sich sicher sein, dass man mit seiner Methode verträgliches Heu hergestellt hat oder man kann durch die Komponenten länger und wärmer nachbessern. In Versuchen führte das Einweichen eines Heus bei Raumtemperatur und über insgesamt 14 Stunden bei insulindysregulierten, aber hufrehefreien Ponys zu einer fast 4-fach niedrigeren Insulinantwort, als wenn dasselbe Heu trocken verfüttert wurde (CARSLAKE et al. 2018: 86).
- Das Füttern von zuckerarmen Heucobs mit einem Zuckergehalt unter 6 % (besser niedriger) ist eine Alternative zum Heu auswaschen. Der Vorteil ist, neben der Zeit- und Kraftersparnis, dass hier die vorhandenen Nährstoffe erhalten bleiben und man sich sicher sein kann, dass der Zuckergehalt ausreichend gering ist. Nachteile sind in erster Linie die hohen Kosten. Bei Pferdesenioren ist diese Fütterungspraxis ja bereits gang und gäbe, bei einem Pferd, dass noch gut kauen kann, scheut man natürlich instinktiv davor zurück, das Heu durch Heucobs zu ersetzen. Man kann sich aber klar machen, dass das nur eine vorübergehende Notmaßnahme ist, die beendet werden kann, sobald geeignetes Heu gefunden wurde. Die Rede ist hier übrigens von vollständigem Ersatz des gesamten zuckerreichen Heus durch möglichst zuckerarme Heucobs. Man muss sich darauf einstellen, dass die Pferde zunächst nicht begeistert sind von der neuen Kost – was einem die Zuckerarmut noch einmal praktisch bestätigt – und dass manche die Heucobs zunächst durchaus absolut verweigern. Bei einem solchen Problem hilft einem für den Anfang das Zumischen von normal zuckerhaltigen Heucobs, deren Anteil man dann Tag für Tag reduziert, bis das Fehlen des Zuckers vom Pferd akzeptiert wird.
Beides ist nur eine Übergangslösung und mit jeweils eigenen Nachteilen behaftet. Durch das Einweichen werden auch andere wasserlösliche Nährstoffe herausgewaschen und der Vitamin- und Mineralstoffgehalt verringert. Um so effektiver man den Zucker herauslöst, um so mehr auch die anderen löslichen Stoffe. Darüber hinaus gibt es gerade im Sommer und bei der Verwendung von warmem Wasser eine Gefahr der Verkeimung und damit eine Schadstoffbelastung fürs Pferd. Nicht zuletzt ist das Heu wässern auch ein ziemlicher Aufwand und Kraftakt für den Pferdebesitzer. Das Füttern der Heucobs ist kostenintensiv und erfordert mitunter auch einige Überlegungen und Änderungen in der Fütterungspraxis.
Einige Pferdebesitzer scheuen den Aufwand und die Kosten und versuchen über eine Restriktion des zu zuckerreichen Heus (Fütterung von deutlich weniger Heu, Fütterung aus engmaschigen Heunetzen) ihrem Pferd aus dem Rehezustand zu helfen. Dieser Weg ist weniger erfolgreich, da es bei der Insulinreaktion in allererster Linie auf die Qualität des Heus und erst in zweiter Linie auf die Quantität ankommt. Frisst ein insulindysreguliertes Pferd eine reduzierte Menge von zuckerreichem Heu, dann folgt daraus eine kürzere Fresszeit bei höherer Insulinreaktion. Bekommt das Pferd stattdessen eine größere Menge zuckerarmen Heus, fällt der Insulinpeak weniger hoch aus und das ist der entscheidende Punkt. Hinzu kommt, das Pferd hat eine längere Fresszeit, ist gesättigter und (etwas) zufriedener.
Kann ein Pferd nur von Heu leben?
Für die hier betrachteten Pferde ist meine Antwort definitiv JA.
Ich möchte an dieser Stelle keine grundsätzliche Diskussion über den Nutzen und die Notwendigkeit von Mineral- und Spurenelementsubstitution führen, nur darauf hinweisen, dass die Hufrehe eine Folge von Über- nicht von Unterversorgung ist. Es handelt sich nicht um halb verhungerte gerettete Importpferde aus Portugal oder Spanien oder vernachlässigte Tiere aus einer Beschlagnahmung. Die hier betrachteten insulindysregulierten Rehepferde sind die letzten Jahre erfahrungshalber eher zu gut als zu schlecht gemeint ernährt worden.
Ein durchgängig gegebenes Mineralfutter ist heute leider Normalität. Viele Pferde haben dieses und anderes bereits ihr Leben lang erhalten. Keines dieser Pferde wird mit einer Heufütterung über ein paar Monate in einen gefährlichen Mangel an Mineralien, Spurenelementen und Vitaminen geraten. Ein solcher ist beim Pferd ohnehin eher selten und setzt eine langzeitige und eklatante Unterversorgung voraus.
Wird das Heu eingeweicht und erfolgreich um den löslichen Zucker, aber eben auch andere Nährstoffe reduziert, kann man sich die Frage erneut vorlegen. Auch hier vertrete ich die Ansicht, dass diese nur vorübergehend ergriffene Maßnahme keine riskante Mangelsituation hervorruft. Die in der Regel überfüllten Speicher der Rehepferde danken es eher.
Wer dennoch Zweifel hat und überzeugt ist, ein Rehepferd in Therapie benötigt unbedingt dieses oder jenes zusätzlich zum Heu, der sollte den Effekt des geplanten Zusatzes auf den Insulinstoffwechsel im Auge behalten. Am besten gelingt das, indem man die Insulinreaktion des Pferdes auf das Zufutter testet.
Der Futtertoleranztest
Nach dem Vorbild des oralen Glukosetoleranztestes (OGT) kann man auch das Normalfutter des Pferdes einer Verträglichkeitsprüfung unterziehen. So wie man das fürs Heu vornehmen kann, kann man auch ein ins Auge gefasstes Zufutter darauf hin überprüfen, wie der Insulinstoffwechsel des betreffenden Pferdes auf dieses reagiert. Hierfür gibt es die Möglichkeit einen „Resting Hyperinsulinaemia Test“ (Durham 2016) durchzuführen. Der „verträgliche OGT“ nutzt zur Provokation einer Insulinausschüttung genau das Futter, welches ein Pferd ohnehin bekommt bzw. zukünftig bekommen soll. Er dient dazu, abschätzen zu können, wie der Insulinstoffwechsel des Pferdes auf dieses Futter reagiert. Das Pferd erhält das Futter, was es aktuell ohnehin bekommt (Heu, Heucobs), in der regulären Portion bzw. das „Provokationsfutter“ (bspw. Rehemüsli). Exakt zwei Stunden nach Beendigung der Mahlzeit erfolgt die Blutabnahme und es werden Glukose und Insulin bestimmt. Liegt der Insulinwert < 50-60 mU/L (CLIA), dann kann das Futter als verträglich eingestuft werden.[8] Es ist sehr ratsam, die Insulinreaktion auf die reguläre Fütterung bei insulindysregulierten Pferden zu überprüfen. Und aus meiner Sicht ist dieser Test, neben der Beprobung des Heus, der wahrscheinlich sinnvollste Test in der Praxis überhaupt.
Gras oder nicht
Mein entschiedenes Nein in dieser Frage habe ich weiter oben schon geäußert. Da dieser Punkt jedoch seitens der Pferdebesitzer einer der meisthinterfragten in der Rehetherapie ist, möchte ich ihn hier noch einmal aufnehmen. Ich weiß, dass es die natürlichste Form der Nahrungsaufnahme ist, wenn ein Pferd grasend mit seiner Herde über die Ebene streifen kann. Ein insulindysreguliertes Pferd kann dies leider nicht mehr ohne krank zu werden. Gelingt es den Insulinstoffwechsel zu sanieren, sind die Karten neu gemischt. Aber die Sanierung muss abgeschlossen sein und man muss sich im Klaren darüber sein, dass die höhere Empfindlichkeit bei diesem Pferd immer bestehen bleiben wird.
Es ist in jedem Fall sinnvoll, solche Pferde durch das oben beschriebene Protokoll des „Resting Hyperinsulinaemia Tests“ abzusichern. Auch andere Autoren geben die Empfehlung, bei Pferden, die wieder auf die Weide gebracht werden, die Insulinkonzentration nach 1-2 Stunden Weidegang zu messen, um die individuelle insulinämische Reaktion auf das Gras zu bestimmen (EEG 2022, SUNDRA et al. 2024). Ein Risiko bleibt, da sich der Gehalt des Grases in seinen Zuckerfraktionen sehr schnell verändert.
Die Grasaufnahme gilt als „der Faktor“ für die Entstehung von Hufrehe (Luthersson et al. 2016). Ein Drittel der in dieser dänischen Kohortenstudie erfassten Hufrehepferde wurde innerhalb eines Jahres euthanasiert.
Endlich Bewegung
Ist das Pferd wieder in der Lage sich auf seinen Hufen zu bewegen und auch körperlich zu verausgaben, dann kommt tatsächlich endlich wirklich Bewegung in die Sache. Die obengenannten diätetischen Maßnahmen sind zwar die unerlässliche Grundbedingung einer erfolgreichen Therapie der Insulinstoffwechselstörung und der Hufrehe. Aber allein sind sie in der Regel nicht wirklich ausreichend, um einen Rehepatienten zu sanieren. Körperliche Anstrengung und Bewegung wirkt sich beim Menschen wie beim Pferd außerordentlich positiv auf den Insulinstoffwechsel aus und ist an dieser Stelle die Maßnahme mit dem größten Erfolg. Es gibt keine bessere Medizin.
Regelmäßige Bewegung erhöht die Insulinsensitivität und bringt den Stoffwechsel in Schwung. Selbst kurze Trainingseinheiten besitzen dabei schon eine gute Wirksamkeit, wenn sie täglich ausgeführt werden. Adipöse Ponys mit Insulinresistenz, die lediglich zehn Minuten tägliche Bewegung auf dem Laufband erhielten – je eine Minute Schritt, eine Minute Trab, acht Minuten leichter Galopp – zeigten bereits nach zwei Wochen signifikante Verbesserung im Insulinstoffwechsel. Nach Beendigung der insgesamt sechs Trainingswochen blieb der Effekt der verbesserten Insulinsensitivität sogar noch mindestens sechs weitere (trainingslose) Wochen erhalten. (FREESTONE et al. 1992) Mit verlängerten Trainingseinheiten – täglich 45 Minuten Laufbandtraining – kann bereits nach einer Woche ein positiver Effekt auf den Insulinstoffwechsel gemessen werden. Auch hier bleibt der Effekt in einer nachfolgenden fünftägigen Arbeitspause erhalten. (STEWART-HUNT et al. 2006)
Bamford et al. konnten zeigen, dass ein regelmäßiges Training mit niedriger Intensität zusätzliche gesundheitliche Vorteile im Vergleich zu einer alleinigen Ernährungsbeschränkung bringt. Das Programm zur Gewichtsabnahme dauerte 12 Wochen und wurde an fünf Tagen pro Woche absolviert. Es bestand aus 5 Minuten Schritt, 15 Minuten zügigem Traben (2,0 m/s für Ponys, 3,0 m/s für kleinere Andalusier und 3,5 m/s für Standardbreds und größere Andalusier) und noch einmal 5 Minuten Schritt. Zentrales Ergebnis der Studie war die Verbesserung der Insulinsensitivität bei den Tieren, die trainiert wurden, im Vergleich zu den Tieren, die nicht trainiert wurden, wobei beide Gruppen zeitgleich dieselbe Reduktionsdiät erhielten. (Bamford et al. 2018)
Natürlich ist die körperliche Kondition und der momentane Hufzustand der Rehepferde bei der gewählten Art und Intensität des Bewegungsprogrammes zu berücksichtigen. Da die positiven Wirkungen in direktem Zusammenhang mit den positiven Auswirkungen auf den Insulinstoffwechsel stehen, ist es angeraten die höchste Trainingsintensität zu wählen, die für den aktuellen Gesundheitszustand geeignet ist (Pratt-Phillips et al. 2024). Das kann sich am Anfang auf das Führen im Schritt beschränken, wobei die Länge der Bewegungseinheiten sukzessive gesteigert wird, um den positiven Effekt maximal zu erhöhen.
5.2 Fehler die im Reheschub gemacht werden
ACTH vor ID testen
Wir erleben sehr häufig, dass Pferde, die an einer Hufrehe erkranken, sofort einer PPID-Diagnostik unterzogen werden. Häufig geschieht das schon beim ersten Termin, wenn der Tierarzt zum erkrankten Pferd gerufen wird. Insbesondere wenn es sich um ältere Tiere und um Ponys handelt. Es wird der ACTH-Wert bestimmt und liegt er über den Referenzwerten, dann erhält das Rehepferd Prascend®. Eine Prüfung auf das Vorliegen einer Insulindysregulation und die diagnostische Bestimmung deren Ausmaßes findet in den meisten Fällen nicht (mehr) statt. Dabei wäre sie die erste diagnostische Maßnahme, die im Falle einer Hufrehe ergriffen werden sollte. Ich erinnere, die Ursache der endokrinopathischen Hufrehe ist die Insulindysregulation, nicht die PPID (siehe Abschnitt 4). Ohne dass man die Therapie auf diese Ursache ausrichtet, sind die Erfolgsaussichten gering.
Dem Auslassen der ID-Diagnostik folgt von Seiten des Tierarztes leider meist eine sehr dürftige Erörterung der eigentlichen Problemlage des Rehepferdes gegenüber dem Pferdebesitzer. Das Pferd soll vom Gras und soll im Futter rationiert werden und den Rest übernimmt das Prascend®. Die Pferdebesitzer werden sehr häufig in dem Glauben gelassen, dass sie mit dem Prascend® ein Rehemedikament in der Hand haben. Sollte das Pferd tatsächlich an PPID leiden, wird ihm das Mittel dennoch nicht aus der Hufrehe helfen. Hierfür braucht es die entsprechenden auf den Insulinstoffwechsel gerichteten Maßnahmen. Fehlt hierüber Klarheit und gibt es keine klare therapeutische Anleitung, dann bleibt die Hufrehegefährdung erhalten.
So wurde bei Pferden, die an PPID leiden, eine höhere Rate therapeutischen Versagens beobachtet, wenn die ID nicht erkannt wird (Horn et al. 2019). Die Chance eine Hufrehe zu überleben steigt und fällt auch für das PPID-Pferd mit dem Ausmaß seiner ID. So ergab eine britische Studie eine 90 %ige Chance, dass ein Pferd nicht überlebte, wenn die Insulinkonzentration ≥ 188,6 μU/ml betrug, während mit einer Konzentration von ≤ 61,4 μU/ml eine 90 %ige Überlebenschance einherging (Byrne 2018: 11).
Hinzu kommt, dass insulindysregulierte Pferde und Ponys Gefahr laufen, im Herbst falsch positiv auf PPID getestet zu werden[9] (Li et al. 2023). Diese Gefahr gilt insbesondere für ältere Tiere[10] und neben Ponys sind auch Araber, Andalusier und Esel betroffen, da sie rassetypisch höhere ACTH-Werte aufweisen (Potier/Durham 2020; Vaughn et al. 2021; Bamford 2023). Es gibt zwar saisonal angepasste Referenzbereiche, die den physiologischen ACTH-Schwankungen über den Jahreslauf Rechnung tragen, aber es gibt im Labor bisher weder alters- noch rassespezifische Referenzbereiche. Nach aktueller Verlautbarung der namhaften Labore (Laboklin, Synlab, Biocontrol, IDEXX) sind solche auch in nächster Zeit nicht geplant.
In Bezug auf die klinische Relevanz der Diagnose schlagen Li et al. vor, dass ACTH-Werte für die Diagnose von PPID mit Vorsicht zu interpretieren sind, insbesondere wenn die Proben im Herbst entnommen werden, der Rassetyp bei der Interpretation nicht berücksichtigt wird und der Proband insulindysreguliert ist (Li et al. 2023: 7).
Es wird mit Recht davor gewarnt, die Ergebnisse eines ACTH-Testes ohne Ansehung der klinischen Anzeichen beim Pferd zu interpretieren. Aber die Hufrehe gilt in der Praxis als ausreichendes klinisches Anzeichen. Es wird ebenfalls mit Recht darauf hingewiesen, dass der ACTH-Spiegel in Schmerz- und Stresssituationen ansteigt und diese Zeitpunkte für die PPID-Diagnostik deshalb ungeeignet sind. Die erlebte Praxis ist anders.
Runterhungern
Ist ein Pferd an Hufrehe erkrankt, wird häufig eine Futterreduktion verordnet. Für sich ist das kein Fehler. Wenn sie allerdings so drastisch ausfällt, dass ein 450 kg schweres Kleinpferd am Tag dreimal 1kg Heu und eine Handvoll Stroh bekommt – und auf Späne gestellt wird, da es der Hunger sonst seine gesamte Einstreu fressen lässt – dann ist das eher nicht gesundheitsförderlich. Die prinzipielle Empfehlung zum Abnehmen lautet 70 % vom Erhaltungsbedarf bezogen auf das Idealgewicht des Pferdes. Für ein Zielgewicht von 400kg wären das dann 5kg Heu/Tag. Strengere Programme empfehlen sogar nur eine Tagesration von 1 % des Körpergewichts, um eine erfolgreiche Gewichtsabnahme zu garantieren (SUNDRA et al. 2024: 4). Es wird betont und durch Untersuchungen gestützt, dass das nicht – wie oft befürchtet – zu Magenerkrankungen führt. Allerdings können Verhaltensauffälligkeiten bspw. auch die Aufnahme von Sand oder Erde auftreten. (ebenda)
Meines Erachtens ist es nicht das oberste Ziel im Reheschub eine Gewichtsabnahme zu erreichen, das geht später in Kombination mit körperlicher Bewegung deutlich leichter. Priorität hat die Verhinderung hoher Insulinreaktionen auf das Futter und die hierfür entscheidende Maßnahme ist immer die Umstellung des Heus auf Niedrigzucker. Wir erleben sehr häufig, das letzteres vernachlässigt wird – das Pferd bekommt ja nur wenig davon. Das ist eine falsche Beruhigung, denn der Insulinpeak bleibt auch bei einer kleinen Menge nicht aus. Und dieser Insulinpeak ist es, der die Gefährdungslage beim Rehepferd erhält. Viel wichtiger als ein schnelles Abnehmen und die drastische Reduzierung der Futtermenge ist die Kontrolle über die Art des Futters und die Vermeidung von jeglichem Futter, welches der gestörte Insulinsstoffwechsel des Pferdes im Moment nicht vertragen kann. In erster Linie ist der Blick auf die Qualität zu richten und in zweiter dann auf die Quantität.
Ich habe mich im Abschnitt „Vorschläge für die Praxis“ bereits zu den Qualitätssicherungsmaßnahmen in Sachen Heu geäußert. Dabei habe ich eine Sache außen vorgelassen, die an dieser Stelle sinnvollerweise noch besprochen werden soll. Viele Pferdebesitzer, zum Teil aber auch Tierärzte, schauen auf den Fruktangehalt im Heu und streben hier einen niedrigen Wert an. Für den Insulinstoffwechsel ist dieser allerdings unbedeutend.
Das Fruktanmärchen
Rund zwei Jahrzehnte lebte die halbe Pferdwelt in Deutschland – und ich reihe mich hier ein – in dem Irrglauben, dass vom Fruktangehalt im Gras und Heu eine Hufrehegefahr ausgeht.[11] Zumindest für das insulindysregulierte Pferd. Noch in 2019 schrieb ich in der Neuauflage meines Buches zur Hufrehe: „Auch wenn die Gefahr für ein gesundes Pferd eher gering scheint, so kann der Fruktangehalt der Weide für Pferde mit einer bestehenden Insulinresistenz jedoch sehr leicht gefährlich werden“ (Rasch 2019: 58). Das ist Unsinn. Erstaunlicherweise gab es in all den Jahren niemanden, der mich darauf hinwies. Fruktan ist ein Mehrfachzucker, der nicht im Dünndarm verstoffwechselt wird und deshalb auch keine Insulinreaktion hervorruft. Ich habe mich schon immer darüber gewundert, dass Inulin (Fruktan) dem menschlichen Diabetiker explizit empfohlen wird (weil es den Blutzucker nicht ansteigen lässt), aber für das diabetische Pferd Gefahr dastellt. Hätte ich mal zu Ende gedacht. Mittlerweile ist die Aufklärung aus Amerika nach Deutschland übergeschwappt, sie bricht sich aber hier noch sehr mühsam Bahn.
Pferd bewegen
Aus Sicht der Therapie der endokrinen Dysfunktion, die der Hufrehe zugrunde liegt, macht Bewegung wie oben beschrieben sehr viel Sinn. In der Phase akuter Schmerzhaftigkeit ist sie jedoch fehl am Platze, da die Schmerzen des Pferdes anzeigen, dass die Hufe unter Belastung Schaden nehmen. Schmerzen sind durchaus ein sinnvolles Signal des Körpers. Solange das Pferd akut reht, ist eine zusätzliche Belastung der Hufe durch animierte Bewegung kontraproduktiv. Insbesondere der Hufbeinträger, aber auch das Hufbein selbst und seine Lederhäute nehmen unnötigen Schaden.
Kryotherapie hilft nix
Es kursiert seit einiger Zeit die These, dass die in der Behandlung akuter Rehefälle sehr erfolgreiche Kryotherapie (van Eps et al. 2004 und 2014; Pollitt 2017) bei der endokrinopathischen Hufrehe nicht hilfreich ist, vielmehr sogar schadet.
Man begründet dies damit, dass bei der durch Hyperinsulinämie verursachten Hufrehe, anders als bei der klassischen Überfütterungs- oder Vergiftungsrehe, eine Vasokonstriktion am Anfang stünde. In der Humanmedizin ist Insulin als ein Vasokonstriktor bekannt und wird mit einer Herabsetzung der peripheren Vasodilatation assoziiert. Bisher wurden jedoch keine Studien über den Zusammenhang von Insulindysregulation und dem Blutfluss im Huf von Pferden durchgeführt (Bockhorni 2017: 29).
Gegen die These der Unwirksamkeit oder gar Schädlichkeit der Kryotherapie bei endokrinopatischer Hufrehe sprechen die Ergebnisse von Stokes et al. (2019, 2020). Die Forscher induzierten Hufrehe mit dem Hyperinsulinämie-Modell und verglichen nach der Euthanasie der Pferde die Histopathologie der mit Kryotherapie behandelten und nichtbehandelten Hufe. Die Kryotherapie verhindert effektiv Gewebsschäden an den behandelten Hufen, während alle nicht gekühlten Hufe massive Dehnungen und Unterbrechungen der sekundären epidermalen Lamellen aufwiesen.
Auch wir haben neben der Erfahrung, dass Kryotherapie ebenso endokrinopathischen Hufrehepatienten sehr gut hilft, die Erfahrung machen müssen, dass die Behandlung in manchen Fällen erfolglos bleibt. Den Grund für den Misserfolg bei einzelnen Tieren vermuten wir in der anhaltend desolaten Stoffwechsellage. Auch bei der toxischen Hufrehe ist das Abstellen der Ursache die Grundbedingung für den Erfolg der Kryotherapie. Im Falle der Insulindysregulation gelingt es nicht immer, die Ursache – Hyperinsulinämie – in kurzer Zeit abzustellen. Das System hat sich sozusagen aufgehängt und es ist dann in etwa so, als würde man ein Pferd in Kryostiefel stellen und es dabei am Insulintropf belassen.
Die Hufrehe wegfüttern
Würde man einer Gruppe von 100 zufällig ausgewählten Rehepferdebesitzern folgendes zur Auswahl vorlegen:
Therapievorschlag 1 | Therapievorschlag 2 |
Befolgen Sie folgende Ratschläge:
| Sie müssen nichts ändern. Geben Sie Ihrem Pferd
|
Schätzungsweise 90 Pferdebesitzer würden sich für den Therapieplan 2 entscheiden. Die restlichen 10 würden dies auch gern tun, aber sie bezweifeln die Wahrheit der Heilmittelaussagen.
Das ist sehr zugespitzt formuliert, soll aber illustrieren, was wir so und in ähnlicher Weise immer wieder erleben. Viele Pferdebesitzer suchen verzweifelt nach Mitteln und Wegen, die Rehe ihres Pferdes weg zu füttern, das ultimative Zufutter oder die definitive Rehemedizin zu finden und sie verpassen es dabei leider oft, die grundlegenden Hausaufgaben zu machen. Man weiß zumeist noch nicht einmal, was das Heu an Zucker beinhaltet und gibt aber eine zigfache Menge Geldes für heilversprechende Zusatzfutter aus.
Es liegt ein Stück weit in der modernen menschlichen Natur, dass man Hilfe bei Krankheit im „Zusatz“ sucht, nicht im „Weglassen“. Lieber hat man etwas, was man seinem kranken Pferd geben kann, als etwas, was man ihm nicht mehr geben darf. Es spricht überhaupt nichts dagegen, nach zusätzlicher Hilfe zu suchen. Aber helfen kann es nur, wenn die Basics stimmen.
Es gibt durchaus vernünftige Unterstützung für den gestörten Insulinstoffwechsel, vor allem Mutter Natur hält für den Pflanzenfresser Pferd diesbezüglich einiges parat. Aber es gibt aktuell auch durchaus sehr viel Unvernünftiges. Eines dieser Dinge ist die heute modern gewordene Eiweißsubstitution beim Rehepferd.
Eiweiß zufüttern
Wir sind ganz praktisch auf diesen Umstand gestoßen worden, weil wir immer wieder beobachten mussten, dass eine Proteinzufütterung unserer Rehekundschaft nicht gut bekommt – sie erkranken nach jahrelanger Rehefreiheit plötzlich neu oder kommen einfach nicht aus dem Schub. Man weiß um die Problematik von Eiweißüberfütterung für die Niere und auch, dass sie chronischer Entzündung Vorschub leisten kann. Aber warum haben denn insulindysregulierte Rehepferde damit ein Problem? Lange hatten wir hierauf keine Antwort, nur die praktische Beobachtung. Obwohl eine große Anzahl von Studien die Glukose- und Insulindynamik bei Pferden untersucht hat, ist bisher im Verhältnis wenig über den Proteinstoffwechsel im Zusammenhang mit Hufreheerkrankungen bekannt.
Mittlerweile konnte in einer amerikanischen Studie nachgewiesen werden, dass Pferde mit einer bestehenden Insulindysregulation im Vergleich zu gesunden Kontrollpferden eine 9-fach stärkere Insulinreaktion auf eine proteinreiche Mahlzeit zeigen (Loos 2018).
Aus der Humanmedizin ist bekannt, dass der Proteinstoffwechsel bei Menschen mit ID verändert ist und dass eine Insulinresistenz nicht nur den Glukose-, sondern auch den Protein- und Lipidstoffwechsel beeinflusst. So bestehen erhöhte Aminosäurekonzentrationen bei fettleibigen und diabetischen Menschen. Es hat sich auch gezeigt, dass eine übermäßige Verfügbarkeit von Aminosäuren zur ID beim Menschen beiträgt. Dafür verantwortlich ist vermutlich die starke insulinotrope Wirkung bestimmter Aminosäuren, die auch bei Pferden bekannt ist. (ebenda: 203ff.)
Insbesondere scheint es die Kombination aus NSC und Eiweiß zu sein, die eine hohe Insulinreaktion hervorruft (ebenda; BOTHE 2001; Heppes 2003; VOIGT 2006).
Ergebnisse der kürzlich durchgeführten DHG-Feldstudie zum kontinuierlichen Glukosemonitoring bei Pferden weisen ebenfalls in diese Richtung (siehe hier in diesem Band).
Loos et al. wiesen in einer späteren Studie noch einmal nach, dass ID-Pferde eine stärkere Insulinreaktion zeigen als Nicht-ID Pferde. Die Pferde erhielten zusätzlich zum normalen Futter täglich zwei Proteinfuttermahlzeiten (0,25gRohprotein/kg Körpergewicht), die eine bestand aus pelletierter Luzerne, die andere aus einer kommerziellen Proteinergänzung. Die ID-Pferde zeigten gegenüber den Nicht-ID-Pferden nach dem Verzehr beider Eiweißfutter eine 3-fach höhere postprandiale Spitzenkonzentration für Insulin, also den Insulinpeak, den man vermeiden will. (Loos et al. 2022)
Da der Grund für die Zufütterung von Eiweiß sehr häufig der beim Rehe- und PPID-Pferd beobachtete Muskelabbau ist, möchte ich noch auf die Dissertation von Bockhorni verweisen. Die Zulage von Protein und Lysin bei Pergolid-behandelten PPID-Pferden zeigte in dieser Arbeit keinen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Muskulatur im Verlauf der Studiendauer von 120 Tagen. (Bockhorni 2017: 88)
6 Prophylaxe ist die vornehmste Tat – Erkennen des präklinischen Stadiums
Als Hufbearbeiter sind wir dicht dran an der Problematik Hufrehe und erleben deren Entwicklung immer wieder mit. Wir sehen, wie die Pferde an Gewicht zunehmen, registrieren den Mangel an körperlicher Verausgabung durch Bewegung und Arbeit, sehen wie die gefährlichen Speckpolster entstehen, die die Veränderung des Hormonstoffwechsels anzeigen ... Und wir dürfen nicht wegschauen. Auch wenn wir hören „Mein Pferd ist doch gar nicht dick“ oder „aber er hat doch schon abgenommen“ und „er kriegt doch gar nicht viel“. Fettleibigkeit bei Pferden ist leider mittlerweile so verbreitet, dass sie von vielen einfach schon als das neue Normal angesehen wird (Owers/Chubbock 2012; Rendle et al. 2018).
Wir sollten bei all dem nicht müde werden zu warnen. Denn es geht nicht um ein paar überflüssige Pfunde, sondern um die nachhaltige und gefährliche Veränderung des Insulinstoffwechsels. Und bekommt der Pferdebesitzer nicht die Kurve, dann ist der Weg des Pferdes vorgezeichnet über oft viele Stationen der Hufrehe und möglicherweise bis zur Endstation PPID im Alter. Hufbearbeiter, aber auch Tierärzte dürfen den Speckhals des Pferdes nicht mehr ignorieren. Er ist der entscheidende Hinweis, dass das betreffende Pferd insulindysreguliert und damit nun definitiv hufrehegefährdet ist. Was hier heraushilft, ist Futteranpassung und Bewegung und alle Therapeuten am Pferd sollten dies so früh als möglich und so lange wie nötig klar kommunizieren.
Schon lange vor dem Eintreten in die klinische Phase der Hufrehe zeigen die Hufe, dass sie unter der beständigen Hyperinsulinämie leiden. Prägnantestes Zeichen am Huf sind die Veränderungen der Blättchenschicht. Hier zeigen sich die Insulinschäden im Huf ganz unmittelbar und schnell und man kann die Konjunkturen im Stoffwechsel sehr gut ablesen.

Huf im April (vor der Weidesaison). Die Blättchenschicht ist bereits leicht auffällig – etwas eingefärbt, ringsum mit vielen kleinen Zerreißungen und Fäulniseinschlüssen.

Das Pferd aus Abb. 1 war zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt. Ich habe schon vor der Weidesaison thematisiert, dass ich den Wallach für gefährdet halte und zu Bewegung und passendem Futter geraten, den geplanten Koppelgang problematisiert ... Er lief während der Koppelsaison dann schon auffallend fühlig (prälaminitisch) und hatte im nächsten Weidesommer seinen ersten Reheschub.
Diese gut zu beobachtenden Veränderungen in der Blättchenschicht sind das Ergebnis einer insulininduzierten Veränderung der Hornsynthese über der Wandlederhaut. Der epidermale Blättchenapparat des Hufbeinträgers verändert sich. Es findet nicht nur eine Hyperproliferation sekundären Blättchenhornes statt, dieses unter den Bedingungen der Hyperinsulinämie gebildete Horn ist dabei auch in seiner Qualität vermindert. Es findet aufgrund der „Massenproduktion“ eine nur unvollständige, fehlerhafte Verhornung statt. Chris Pollitt bebilderte dies vor einigen Jahren auf unserer Huftagung sehr eindrücklich, indem er an die Zuhörer im Hörsaal Marshmallows austeilen ließ. Die im insulingeschädigten Huf entstehenden Gleithornzellen sind von einer instabilen, nachgiebigen, dehnbaren Konsistenz und das zeigt sich sehr schnell in der Blättchenschicht des Hufes. Die Mechanismen, wie genau Insulin diese Veränderungen im Huf bewirkt, werden derzeit noch diskutiert (Paul 2017, Baskerville 2019, Marcato/Perillo 2020)[12].
Es wurde auch in mehreren histologischen Untersuchungen festgestellt, dass mit steigender Insulinkonzentration die Zellproliferation der lamellaren Epithelzellen des Pferdes zunimmt, sich die sekundären epidermalen Lamellen deutlich verlängern (Karikoski et al., 2014), es zur Desorganisation der Epithelzellen und zu einer erhöhten Zellteilungsaktivität kommt (Asplin et al., 2010). Nourian et al. zeigten ebenfalls bereits 2009, dass anhaltende Hyperinsulinämie mit einer geringeren Anzahl von Hemidesmosomen pro Längeneinheit der Basalmembran einhergeht. Man nimmt an, dass diese Veränderungen zu einer Schwächung der lamellaren Befestigungen führen (Baskerville 2019: Chapter 2/52). Allerdings fehlt bis heute die Überführung dieser Erkenntnisse in die Praxis.
Karikoski empfiehlt basierend auf den Ergebnissen ihrer Dissertation und anderer Studien, dass sich Tierärzte mehr „auf präventive Maßnahmen für die Entwicklung einer Hyperinsulinämie konzentrieren“. Sie kommt zu der Feststellung, dass in „vielen Fällen mit endokrinopathischer Hufrehe die Gewebsschädigung im Lamellenbereich bereits vor dem Auftreten klinischer Anzeichen weit fortgeschritten zu sein scheint“ und misst der frühzeitigen Diagnose und Behandlung endokriner Erkrankungen deshalb entscheidende Bedeutung bei. (Karikoski 2016: Chapter 6/54)
Ich möchte weitergehen und sagen, man kann diese frühzeitige Gewebsschädigung selbst zur frühen Diagnose nutzen und von hier ausgehend auf eine weiterführende Diagnostik – Status der Insulinstoffwechselstörung, Futtermittelanalyse, Verträglicher oraler Glukosetoleranztest – und auf Änderungen in der Fütterungs- und Haltungspraxis drängen.
Die insulinbedingten Schäden in der Blättchenschicht sind die am schnellsten und einfachsten zu beobachtenden makroskopischen Veränderungen der Hufe. Hierauf folgen weitere, wie Rillenbildung, schräg werdende Zehenwände, Ausbildung von glockenförmigen Hufen. Die eingeschränkte Haltbarkeit des Blättchentrageapparates von insulindysregulierten Pferden wirkt sich je nach Ausmaß seiner Schädigung letztlich auch auf die Hufwände aus (siehe auch Patterson-Kane et al. 2018). Die Wände der Hufe werden schräger (Wandrotation), sie verbiegen sich leichter und zeigen mehr Rillen und Falten als vor der Insulinschädigung. Viele Pferde laufen in diesen Phasen etwas schlechter. Sie sind fühliger, was zum einen auf die subklinischen Reheprozesse im Hufbeinträger hinweist, zum Teil aber auch die Folge der bereits eingetretenen Hufschäden sein kann.

Die Vorderhufe dieses Pferdes, das 24/7 auf der Koppel steht, sind von Rillen und Falten gezeichnet.

7 Offene Fragen
- Warum haben Pferde mit PPID aber ohne ID keine Hufrehe?[13]
- Wenn das Fehlen des Botenstoffs Dopamin bei 11-32 % der Pferde (Potier/Durham 2022; McGowan et al. 2013) nicht zu ID führt, ist dann PPID die Ursache von Hufrehe?
- Wie ist der Zusammenhang zwischen einem hohen ACTH-Spiegel und Hufrehe?[14]
- Bekommen die Pferde Hufrehe, weil sie PPID haben? ↑ACTH => ID ?[15]
- Oder wird PPID diagnostiziert, weil sie Hufrehe haben? ID => ↑ACTH ?
- Wie sind die Veränderungen der Hypophyse, die als normales altersphysiologisches Problem beschrieben sind, abzugrenzen von pathologischen Veränderungen der Hypophyse?[16]
- Ist bei anhaltender Hyperinsulinämie auch immer der ACTH-Wert erhöht?[17]
- Wie erklärt sich der Zusammenhang von PPID und von Hypertrichose (pathognomonisch für PPID)?[18]
- Ist Prascend® die Lösung für Hufrehe?[19]
8 Schlusswort
Wir sind keine Forscher. Naja, zugegeben ein ganz klein wenig schon. Die Neugierde treibt uns an und wir versuchen natürlich mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, den Dingen, die wir in unserem Berufsalltag beobachteten, auf den Grund zu gehen. Unser Manko ist der fehlende wissenschaftliche Background und dazugehörige technische Apparat. Unser großes Plus jedoch ist ein sehr großer gebündelter Erfahrungsschatz aus der ersten Reihe der Geschehnisse. Man kann deshalb davon ausgehen, dass ein guter Teil unserer Beobachtungen und Fragen wichtige und richtige Anregungen liefert und dass deren Erforschung und Beantwortung einen relevanten Beitrag zur Mehrung des Wissens über die endokrinopathische Hufrehe liefern kann. Aus der Praxis für die Praxis.
Literatur
Al-Ansari A.S., Golding E., Walshe N., Mooney C.T., Duggan V. (2024): Obesity and obesity-associated metabolic disease conditions in Connemara ponies in Ireland. Equine veterinary journal 56(2): 273–280. doi.org/10.1111/evj.14029
Asplin, K., Patterson‐Kane J., Sillence M., Pollitt C., Mc Gowan C. (2010): Histopathology of insulin‐induced laminitis in ponies. Equine veterinary journal 42(8): 700-706.
Bamford N.J., Potter S.J., Baskerville C.L., Harris P.A., Bailey S.R. (2019): Influence of dietary restriction and low-intensity exercise on weight loss and insulin sensitivity in obese equids. Journal of veterinary internal medicine Jan;33(1): 280-286. doi: 10.1111/jvim.15374
Bamford N.J., Stewart A.J., El-Hage C.M., Bertin F.R., Bailey S.R. (2023): Investigation of breed differences in plasma adrenocorticotropic hormone concentrations among healthy horses and ponies. The Veterinary Journal Jun-Jul: 296-297. doi: 10.1016/j.tvjl.2023.105995
Baskerville, C.L. (2019): The effect of diet on hormone levels in horses and ponies and in vitro effects of insulin on lamellar tissue. Diss, University of Melbourne.
Bothe, C. (2001): Effekte unterschiedlicher Stärketräger und deren Bearbeitung auf die postprandiale Glucose- und Insulinreaktion beim Pferd, Diss, TiHo Hannover.
Byrne D. (2018): Endocrine testing for causes of laminitis in a group of australian horses. Diss, Murdoch University, Perth.
Carslake H.B., Argo C.M., Pinchbeck G.L., Dugdale A.H.A., McGowan C.M. (2018): Insulinaemic and glycaemic responses to three forages in ponies. The Veterinary Journal May: 83-89. doi: 10.1016/j.tvjl.2018.03.008
Cassimeris L., Armstrong C., Burger Q.C., Stokes S., van Eps A., Galantino-Homer H. (2021): Continuous digital hypothermia reduces expression of keratin 17 and 1L-17A inflammatory pathway mediators in equine laminitis induced by hyperinsulinemia. Veterinary Immunology and Immunopathology Nov; 241: 110326. doi: 10.1016/j.vetimm.2021.110326
Coenen M. (2010): Kann man durch die Fütterung Hufprobleme erzeugen oder auch beseitigen? 11. Huftagung der DHG e.V. für Tierärzte und Hufbearbeiter, Leipzig 8. Mai 2010, Tagungsband, 17-19.
Coffman J.R., Colles C.M. (1983): Insulin tolerance in laminitic ponies. Canadian Journal of Comperative Medicine. Jul; 47(3): 347-51.
- Pollard et al. 2018: Im Rahmen der Studie wurden von August 2014 bis Dezember 2016, also über einen Zeitraum von 29 Monaten, insgesamt 1.070 Pferde und Ponys in Großbritannien beobachtet.
- Ich verweise auf die sehr offensichtliche argumentative Parallelität zur jahrzehntelangen Begründung der gewachsenen Krebsinzidenz beim Menschen – mittlerweile ist diese unbestritten – und rate zur Vorsicht und zum Nachdenken. Hier wie da – Krebs wie PPID – erfährt das Argument „gewachsenes Alter“ teilweise Entkräftung durch das Auftreten der Krankheiten bei immer jüngeren Individuen.
- Keines der Pferde hatte Hufrehe.
- Das Risiko, an Parkinson zu erkranken, ist bei Menschen mit Typ-II-Diabetes ebenfalls höher (Li et al. 2023).
- Oxidativer Stress wird natürlich auch durch andere Umstände verursacht - Krankheit, Umweltnoxen, psychischer Stress – und kann deshalb auch bei Pferden vielgestaltige Gründe haben. Das erklärt, weshalb zwar sehr viele, aber doch nicht alle an PPID erkrankten Pferde, eine adipöse Hufrehevergangenheit haben.
- In den vorläufigen Ergebnissen einer schwedischen Studie kann man den Hinweis lesen, dass die derzeitige Fütterungsempfehlung, nur Futter mit einem WSC-Gehalt von < 10 % zu füttern, nicht immer ausreicht, um eine postprandiale Hyperinsulinämie zu vermeiden (Svonni et al. 2023). WSC (Wasserlösliche Kohlenhydrate) enthalten neben den Einfach- und Zweifachzuckern noch das Fruktan, was bedeutet, dass hier – je nach Höhe des Anteils von Fruktan – sogar ein noch geringerer Anteil der insulinstimulierenden Zucker angeraten wird.
- Bei dieser Probe ist zu beachten, dass man das eingeweichte Heu zunächst bei 70 °C im Backofen wieder durchtrocknen lässt, bevor man es versendet. Andernfalls führen Fermentationsprozesse im feuchten Heu auf dem Weg zur Post und ins Labor zu einem zusätzlichen Zuckerabbau und man erhält Ergebnisse.
- Der Test ist nicht im Standardprogramm der Labore. Die Referenz stammt von Andy Durham, Liphook Hospital (Durham 2016 und persönliche Mitteilung).
- Die in der Untersuchung einbezogenen Tiere waren ohne Anzeichen von PPID und bekamen auch kein Prascend.
- Es gibt einen hochsignifikanten Zusammenhang zwischen einem erhöhten ACTH-Wert und dem Alter des Pferdes. D.h. je älter ein Pferd ist, desto höher ist auch der gemessene ACTH-Wert (McGowan et al. 2013; Pichon/Gehlen 2017).
- Ausgelöst wurde dieser Verdacht gegen Fruktan, als French und Pollitt 2004 bei Pferden, denen per Nasenschlundsonde Fruktan verabreicht wurde, Hufrehe auslösten (Oligofructose-Modell) (French/Pollitt 2004). Die Menge an Fruktan, die den Versuchspferden innerhalb von 30min verabreicht wurde, führte ähnlich der Kohlehydratüberladung zu einer Dickdarmdysbiose. Ein Pferd kann weder über das Gras noch über Heu eine solche Menge Fruktan aufnehmen.
- Siehe hierzu den Artikel von Nancy Paul in diesem Band.
- 37,5 % der PPID-Pferde haben keine Hufrehe (Karikoski 2016)
- Das von der Pars intermedia der Hypophyse von Pferden mit PPID ausgeschüttete ACTH ist weitgehend biologisch inaktiv. Folglich führen erhöhte ACTH-Konzentrationen im Plasma nicht zu einer Stimulation der Nebenniere und einer Hyperkortisämie. (Kirkwood 2022: 3)
- Es ist nicht bekannt, ob oder wie PPID die Insulinkonzentration beeinflusst (Kirkwood 2022: 3).
- Pferde im Alter über 20 Jahren zeigen häufig deutliche Veränderungen der Hypophyse (z.B. Adenome) und oft gleichzeitig einen ACTH-Wert über dem Referenzwert. Bemerkenswert ist, dass diese Pferde trotz eines Adenoms der Pars intermedia der Hypophyse oft keine Symptome entwickelten. Nur 3% dieser Pars intermedia-Adenome standen in Verbindung mit klinischen Symptomen einer PPID. (Pichon/Gehlen 2017: 559)
- Eine Studie hat gezeigt, dass es histologische Veränderungen in der Hypophyse gibt, die mit der Jahreszeit zusammenhängen. In dieser Studie wurden im Herbst bei euthanasierten Nicht-PPID-Pferden Veränderungen des Grades 4/5 (Mikroadenome) festgestellt. ... In einer anderen Studie wurden bei klinisch normalen Stuten zu verschiedenen Zeiten des Reproduktionszyklus Veränderungen des Grades 3/5 (diffuse Hyperplasie) und 4/5 in der Pars intermedia festgestellt, was darauf hindeutet, dass auch der Reproduktionszyklus die Histopathologie der Hypophyse beeinflussen kann. (Byrne 2018: Chapter1/24)
- Darüber hinaus wurde gezeigt, dass intravenöses Insulin die ACTH-Konzentrationen erhöhen kann (Byrne 2018: Chapter 1/68).
- Es hat sich gezeigt, dass eine Minderheit von Pferden mit einem Hypophysenadenom der Pars intermedia keine Hypertrichose aufweist (van der Kolk et al. 2013: 116f.).
- Es gibt keine ausreichenden Belege dafür, dass die Behandlung mit Pergolid bei Pferden mit PPID das Risiko des Auftretens oder Wiederauftretens von Hufrehe im Vergleich zu keiner Behandlung oder anderen Behandlungen verringert. Das Fehlen qualitativ hochwertiger Belege schließt die Möglichkeit einer positiven Wirkung nicht aus, doch sollten Forschungsarbeiten darauf abzielen, festzustellen, ob ein solcher Nutzen tatsächlich besteht ... Mehrere Studien berichten über eine Verbesserung der klinischen Anzeichen von Hufrehe während der Behandlung mit Pergolid. Diese Verbesserungen können jedoch nicht auf Pergolid zurückgeführt werden, sondern nur auf andere Maßnahmen wie Hufbeschlag, Ruhe oder Analgetika ... In einigen Fällen entwickelte sich die Hufrehe zum ersten Mal während der Pergolid-Behandlung, in anderen Fällen trat die Hufrehe erneut auf oder verbesserte sich während der Pergolid-Behandlung nicht. (Knowles 2018: 278) Die Behandlung mit Pergolid senkt die basalen ACTH-Konzentrationen und verbessert bei vielen Tieren die ACTH-Antwort auf TRH, aber die Messwerte der Insulin-Dysregulation (ID) werden in den meisten Fällen nicht verändert. Pergolid hat keinen Einfluss auf die Insulinempfindlichkeit. (Menzies-Gow et al. 2024: 2)